Herrn
Dr. Bernd Niquet
Düsseldorfer Str. 36
D 10707 Berlin
23. Dezember 1997
Lieber Dr. Niquet,
Besten Dank für die Zusendung des Euro-Bändchens, das ich mit Vergnpügen
gelesen habe. Vor allem möchte ich Ihnen zu Ihrer klaren und verständnis
vollen Argumentation gratulieren, die ich didaktisch ausgezeichnet finde
und die sich wohltuend von vielen Beiträgen zur Euro-Debatte abhebt. Es
wird Sie vielleicht wundern, das ich mit Ihrer Darstellung in weiten Teilen
übereinstimme, wenn ich auch finde, dass die Probleme der Realwirtschaft,
die ja Probleme für die Geldwirtschaft (in beiden Richtungen) erst auf
werfen und relevant machen, zu kurz kommen, was allerdings in einem Beitrag
ztur Euro-Debatte zu Teil entschuldbar sein mag. Natürlich steckt hinter
dieser Frage unsere unterschiedliche Einschätzung der Leistungsfähigkeit
einer ungeregelten Marktwirtschaft. Hat man zu deren Stabilität kein beson
deres Vertrauen, so ergeben sich nicht nur Forderungen an eine entsprechende
Geldpolitik (die nur einen beschränkten Beitrag leisten kann), sondern
die Fragwürdigkeit der gängigen und generalisierenden Schlagworte wie Libe
ralisierung, Deregulation, Privatisierung etc. müssten hinterfragt und
diferenzierter behandelt werden.
Etwas gewagt ist wohl Ihr Vergleich der Einführung der Eisenbahn (S.53)
mit den Übergangsfragen beim Euro. Bei technischen Prozessen können Be
fürchtungen und Hoffnungen doch in einem geordneten Prozess allmählich
bestätigt oder widerlegt werden, während bei flexiblen und interessens-
beeinflussten finanziellen Prozessen solch ein gradliniger Fortschritt kaum
zu erwarten ist. Wie Sie ja auch auf der nächsten Seite richtig bemerken,
sind Vorhersagen über die Folgen des Euro schwer beantwortbar. Auf S. 55
kommen Sie aber dann doch mit der scheinbaren Gewissheit, dass sich der
Euro langfristig als Initialzündung für eine gute wirtschaftliche Entwick
lung Europas erweisen wird. Ist dafür wirklich der Euro entscheidend oder
nicht vielmehr, welche Politik die EZB mit ihm machen wird im Zusammenspiel
mit der Wirtschaftspolitik der europäischen Staaten, der EU und der Sozial
partner?
Bethmann ist in dieser gedrängten, thesenhaften Form noch schwerer zu ver
dauen als in seinen Büchern, obwohl er neben seiner Apodiktik, seinen De
finitionseigenwilligkeiten und seinen Paradoxien auch wichtiges zu sagen
hat, insbesondere mit seiner Betonung der Rolle von Erwartungen. Jedenfalls
bewudere ich Ihre Geduld und Fairness, mit der Sie seine Gedanken kommen
tieren.
Es har mich gefreut, Sie in Hernstein kennen zu lernen und es würde mich
freuen, wenn wir wieder einmao Gelegenheit zu einem Gedankenaustausch
(Streit) hätten.
Mit freundlichen Grüssen