Full text: Brief von Bernd Niquet an Kurt Rothschild

Dr. Bernd N i q u e t 
Düsseldorfer Str. 36 
Tel:030 / 885 43 37 
D-10707 BERLIN 
Dr. Bernd N i q u e t, Düsseldorfer Str. 36, 10707 BERLIN 
Herrn 
Prof. Dr. Kurt W. Rothschild 
Döblinger Hauptstr. 77a 
A-l 190 Wien 
Österreich 
Berlin, den 12.2.98 
Sehr geehrter Herr Professor Rothschild, 
haben Sie erneut vielen Dank für Ihr Schreiben. Mit der unlösbaren Antinomie von Theorie 
und Realität komme ich ja mittlerweile immer besser zurecht. Mehr Sorgen machen mir - als 
paradigmatisch erzogenem Ökonomen - hingegen die oft anzutreffenden uneinheitlichen 
Grundlagen theoretischer Argumentationen. 
Und hier frage ich mich: Ist es wirklich legitim im Kontext einer theoriebezogenen 
Argumentation, sich aus den verschiedenen Modellansätzen jeweils das Passende 
herauszusuchen, um partielle Aspekte der Wirklichkeit zu erklären? 
Konkret: Wenn ein Neoklassiker ständig in einem System argumentiert, in dem Geld keine 
Rolle spielt, ist es dann nicht widersprüchlich - und damit recht eigentlich hinfällig - wenn auf 
einmal, bei gerade passender Gelegenheit, plötzlich dem Geld eine entscheidende Wirkung 
zugewiesen wird? Ich denke hierbei immer an das ptolemäische und das kopemikanische 
Weltbild: Irgendetwas muß - bei jeder gedanklichen und theoretischen Äußerung - das 
Gravitationszentrum auch des Wirtschaftssystems darstellen. Hierbei jedoch je nach Gusto 
einmal die Sonne (oder das Geld), ein anderes Mal jedoch die Erde (oder die 
Nutzenvorstellungen der Haushalte), und beim dritten Mal vielleicht eine andere Galaxie 
(oder die Arbeitsleistung) zum Fixpunkt zu machen, erscheint mir aus wissenschaftlicher 
Sicht teilweise von wenig Gedankenstrenge zu zeugen. 
Aber darum, so glaube ich zumindest, streitet man zwischen Berlin und Bremen sowie 
zwischen Neoklassik und Monetärkeynesianismus. Welchen Belang das jedoch für die 
Erklärung der Wirtschaftswissenschaft hat, ist wohl eher schwer zu beurteilen. Wohl dem 
also, der sich, so wie Sie es aus meiner Sicht ja sehr erfolgreich getan haben, hier einfach über 
die Kontroverse hinweg erhebt und nurmehr das versucht anzuwenden, was am besten 
funktioniert. Und auch ich glaube, daß mir das mittlerweile immer besser gelingt. Denn was 
nutzt der Elfenbeinturm, wenn man durch seine dicken Mauern die bunte Wirklichkeit da 
draußen nicht mehr wahmehmen kann. Aber es entbehrt natürlich nicht der Komik, daß man 
anscheinend sich erst dann als orientierungstauglich in der Wirtschaftwelt erweist, wenn man 
einen großen Teil seines akademischen Ballasts (wieder) abgeworfen hat. 
Mit den besten Grüßen
	        
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