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clurch eine dingliche Maske verschleiert werden. Der Waren-
fetischismus haftet diesem Begriffe notwendig an. Zwar
kommen in Preisverhaltnissen soziale Verhaltnisse zrnii
Ausdruck — aber nur in der Form der Warenverhaltnisse.
1st aber diese Warenform aufgehoben, so verschwindet auch
der Tauschwert, zu dessen Wesen diese Form gehort.
Um den sozialen Inhalt des arbeitslosen Einkommens
an den Tag zu legen, dazu bedarf man keiner Werttheorie
zum Ausgangspunkt. Die viel verbreitete Meinung, dafs
sozialistische Kritik der bestehenden Gesellschaftsordnung
die absolute Arbeits werttheorie zu ihrer notwendigen Voraus-
setzung haben soil, beruht auf einem Mifsverstandnish
Zwar sind die Begriinder des sogenannten wissenschaftlichen
Sozialismus — Proudhon, Rodbertus, Marx — von einer
solchen Werttheorie ausgegangen. Aber das ist eben das
Unwissenschaftliche weil Irrefuhrende im neueren Sozialis-
mus. Der altere sogenannte utopische Sozialismus war in
dieser Hinsicht viel wissenschaftlicher, indem er seinen
sozial-ethischen Forderungen keine unmogliche objektive
Begrlindung geben wollte.
Um zu beweisen, dafs das arbeitslose Einkommen auf
dem Zwang beruht, genugt es, die Tatsache zu kon-
statieren, dafs die Arbeiter nicht aus Liebe zu den
Kapitalisten oder aus Lust an der Tatigkeit selbst, sondem
aus Not arbeiten. Keine Profittheorie ist imstande, diese
soziale Grundlage alles arbeitslosen Einkommens als nichtig
zu erweisen, obwohl viele versueht haben, so etwas zu
leisten. So glaubte J. B. Say, der Begriinder der von
Bohm-Bawerk als Produktivitatstheorie genannten Profit
theorie, durch seine Lehre, welche im Arbeitslohn, Zins
1 „Die Werttheorie“ — sagt Georg Adler — „ist der naturgemafse
Ausgangspunkt des wissenschaftlichen Sozialismus u (Adler, Die Grundlagen
der Marxschen Kritik, 1888, S. 28). Mit viel grofserem Rechte bemerkt
Heinrich Herkner, dafs „der Streit um das Wertgesetz eine grofse methodo-
logische und allgemein wirtschaftswissenschaftliehe Bedeutung hat, aber fur
die eigentlich kommunistische Seite im Marxismus besitzt er relativ wenig
Belang u (Herkner, Die Arbeiterfrage. Zweite Auflage, 1897, S. 302).
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und in der Grundrente die Entgeltung der produktiven
Dienste der Arbeit, des Kapitals und des Bodens erblickte,
das arbeitslose Einkommen zu rechtfertigen. Nun hat aber
die Frage nach der Produktivitat des Kapitals oder des
Bodens nichts gemeinsames mit der Frage nach dem sozialen
Charakter des Einkommens des Kapitalisten und des Grund-
eigentiimers. "Ware der Wertzuwachs, welcher den Kapital-
zins ausmacht, ein ebenso natiirliches Produkt des Kapitals
wie der Apfel des Apfelbaums, so bliebe doch das Beziehen
des Zinses auf dem Besitz des Kapitals beruhen. Es ist
nicht einzusehen, warum das Kapital, und also der Zins,
dem nichtarbeitenden Kapitalisten, nicht aber dem arbeitenden
Produzenten gehoren solle. Auch vom Standpunkte der
Produktivitatstheorie aus ist der Profit ein arbeitsloses Ein
kommen, oder, mit anderen Worten, ein Einkommen, welches
auf der Aneignung der Mehrarbeit der Arbeitenden durch die
Nichtarbeitenden beruht.
Die Grundrententheorie von Ricardo erblickt in den
naturlichen Unterschieden der Bodenfruchtbarkeit die Ur-
sache der Grundrente. Ricardo definiert die Grundrente
als „den fur die ursprungliche und unerschopfliche Nutz-
leistung des Bodens gezahlten Preis u . Damit hat er aber
die Grundrente so wenig als sozial berechtigte Einkommens-
art nachgewiesen, dafs gerade von der Ricardoschen Lehre
ausgehend Henry George zu seiner Verwerfung des Privat-
eigentums am Bo den gekommen ist.
Es ist also methodologisch falsch, in der Produktivitats
theorie ein Argument gegen die Ausbeutungstheorie zu er-
blicken. Die Ausbeutung besteht namentlich, vom Standpunkt
der richtig verstandenen Produktivitatstheorie aus, nicht
darin, dafs Kapital und Boden einen Wertzuwachs erzeugen,
sondem darin, dafs dieser Wertzuwachs den Arbeitenden
entzogen und den Nichtarbeitenden ubergeben wurd.
Der neueste und hervorragendste Yertreter der Pro
duktivitatstheorie , Friedrich Wieser, scheint das iibrigens
einzusehen. „Die Zureehnung des Ertrags an Land, Kapital
und Arbeit“ — sagt er — „nach Mafs ihrer produktiven
Tugan-Baranowsky, Marxismus. 13