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dafs die Hohe des Profits von der Hohe des Kapitals ab-
hangt. Dieselbe „Abstinenz w driickt sicb in sebr ver-
schiedenen Geldsummen ans, als den Einkommen der
betreffenden Personen je nack der Grofse des Kapitals,
liber welches sie verfugen. Besitzverhaltnisse, also soziale
Macht- nnd Abhangigkeitsverhaltnisse bleiben anch vom
Standpnnkt dieser Theorie aus die Grundlage des kapitalisti-
schen Einkommens.
Nur die von Bohm-Bawerk als Arbeitstheorie be-
zeichnete Theorie des Profits, welche im Profit den Arbeits-
lohn des Kapitalisten erblicken will, steht anf einem prin-
zipiell anderen Standpunkte, da nnr sie das Vorhandensein
im kapitalistischen Wirtschaftssystem des arbeitslosen Ein
kommens leugnet. Nun wird aber diese Theorie durch die
blofse Tatsache der Profitrate widerlegt — dadurch, dafs
der Profit pro rata des Kapitals gerechnet wird, also mit
dessen Grofse in Zusammenhang steht. Der „Arbeitslohn“
des Kapitalisten ist also nicht durch seine Arbeit, sondern
durch seinen Besitz bestimmt 1 1 2 3 . So kehren wir zuriick zur
Anerkennung des kapitalistischen Einkommens als das, was
es wirklich ist — als ein Besitzeinkommen, folglich als ein
Ausb eutungs einkommen.
Die Ausbeutung als Grundlage aller Besitzeinkommen
ist also ebenso sicher wie die Tatsache, dafs nicht alles
Einkommen auf der Arbeit beruht.
m.
Die Produktivitatstheorie macht den Yersuch, den
kapitalistischen Profit durch die technische Produktivitat
des Kapitals zu erklaren. Diese Erklarung scheint ganz
plausibel zu sein, da in der Tat ein Unterschied zwischen
dem Arbeiter und seinen "Werkzeugen vom Standpunkte des
1 „So gleichgiiltig der Kapitalzins gegen einen Arbeitsaufwand des
Kapitalisten ist, so genau steht er im Verhaltnis zur Tatsache des Besitzes
und zur Grofse des Besitzes; der Kapitalzins ist ... kein Arbeits-, sondern
ein Besitzeinkommen/ Bohm-Bawerk, Geschichte und Kritik der
Kapitalzins-Thcorien. Zweite Auflage, 1900, S. 373.
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technischen Produktionsprozesses nicht zu ziehen ist. Das
ist besonders klar in bezug auf die Maschine, da sie die-
selben techniscHen Operationen verrichtet, welche frulier
durch Handarbeit ausgeflihrt wurden. Insoweit der Mensch
im Produktionsprozesse als eine mechanische Kraft erscheint,
ist er alien anderen mechanischen Kraften gleichzustellen.
Die Einfuhrung verbesserter Arbeitswerkzeuge hat die
Steigerung des Produktionsertrags zur Folge; es scheint
natiirlich, dieses Mehrprodukt als Erzeugnis neuer Produk-
tionsmittel zu betrachten. So kommt die Produktivitats
theorie zu dem Schlufs, dafs das Mehrprodukt, welches
dem Kapitalisten zu teil wird (also sein Profit), durch sein
Kapital selbst erzeugt wird.
Diese Profittheorie bleibt bis heute die herrschende
unter denjenigen Nationalokonomen, welche die Ausbeutungs-
theorie verwerfen. Bohm-Bawerk hat sie scharf kritisiert,
aber seine Kritik ist ihm wenig gelungen, da sie den Kern
der Sache nicht trifft und nicht treffen konnte, weil der
Kritiker selbst auf dem Boden dieser Theorie steht, welche
die Grundlage seiner ganzen Kapitallehre bildet. Als
Kapital bezeichnet namlich der Yerfasser „den Inbegriff der
Zwischenprodukte, die auf den einzeinen Etappen des aus-
holenden Umweges zur Entstehung kommen“ x , was trotz
seiner fur manche unverstandlichen Form auf die tibliche
Definition des Kapitals als „produzierter Produktionsmittel“
hinausgeht. Nun betrachtet Bohm-Bawerk „als einen der
wichtigsten und grundlegendsten Satze der gesamten Pro-
duktionstheorie, dafs das Einschlagen von Produktions-
umwegen (also der Gebrauch der Produktionsmittel. M. T.-B.)
zu grofseren Produktionserfolgen fuhrt w 2 , oder, mit anderen
Worten, dafs „jede (natiirlich klug gewahlte) Yerlangerung
des Produktionsumweges iiberhaupt zu irgend einem Mehr-
ergebnis fuhrt K8 .
1 Positive Theorie des Kapitals, S. 21.
2 A. a. 0. S. 18.
3 A. a. 0. S. 91.