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ausgeschaut hat.
Wenn ich einen bleibenden Eindruck aus der Nazi-zeit wiedergeben
soll, so ist es dieser: Man hat dieses Regime nicht ernst
genommen, solange man es nicht drastisch zu spüren bekommen hat.
Ich erinnere mich an ein Gespräch mit Professor Hayek in der
London School of Economics zu Ostern 1939, ein halbes Jahr
vor Kriegsausbruch. Er meinte, die Finanzpolitik des
dritten Reiches, ungesund und inflationär wie sie sei,
müsse unweigerlich zum finanziellen Zusammenbruch und
baldigen
damit zum/Ende des Regimes führen. Er stand jedoch mit diesem
Urteil keineswegs allein. M an könnte, mit einer Geduld die
ich nicht habe, wahrscheilich eine endlos lange Reihe von
Sozialdemokraten und Liberalen finden, die diese Fehlein
schätzung im wesentlichen geteilt haben. Ich erinnere mich
daß Adolf Kozlik, zurück nach einigen Wochen Gefängnis im
Mai 1938, mich davon zu überzeugen versuchte, daß der
nationalsozialistische Umsturz eigentlich ein Fortschritt
sei, weil dieses Regime notwendigerweise viel weniger tief
Formen der Unterdrückung
verwurzelt wäre als die vorangegangenen/,vor allem als die
jahrhundertalte Macht der Kirche, und daß es daher relativ
viel leichter zu beseitigen sein werde. Er bezog diese
Meinung aus einem gurz vorher ershcienen Buch von Otto Bauer,
das er mir warm empfahl.
Beispiele einer ganz ähnlichen Einschätzung der Lage könnte
man leicht auch in den Reihen der sowjetrussischen Marxisten
und Akademiemitgliedern finden. Welcher Gott hat alle diese
Leute mit Blindheit geschlagen? Sie konnten nicht verstehen,
daß eine Gesellschaft die gewissermaßen die Zivilisation
abgeschabt hat, nichtsdestoweniger gleichzeitig eine große
technisch-organisatorische Effizienz entwickeln könne.