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Eine Rede am Grab eines Freundes zu halten, ist schwierig,
ja fast unmöglich. Wie soll man die Trauer um den Verlust
des Freundes in Worten ausdrücken? So kann man nur versuchen,
zumindest eine Würdigung des Verstorbenen vorzubringen.
Aber auch das ist bei Josef Steindl nicht leicht in Worte
zu fassen. Denn er war - und das sage ich ganz ohne Übertrei
bung - ein ausserordentlicher Mensch, wiewohl er selbst
in seiner grossen Bescheidenheit dies sicherlich bestritten
hätte .
Steindl war ausserordentlich sowohl als Wissenschaftler
wie als Mensch. Der Weg zur ökonomischen Wissenschaft wurde
ihm - wie er in einer biographischen Skizze schreibt, die
in einer italienischen Zeitschrift erschien - durch drei
glückliche Umstände geebnet: erstens dadurch, dass er gleich
nach seinem Studium einen Posten im Österreichischen Institut
für Konjunkturforschung erhielt, zweitens durch eine
Lectureship am Balliol College der Universität Oxford nach
der Besetzung Österreichs und drittens durch die Möglichkeit
einer engen Zusammenarbeit mit dem bedeutenden polnischen
Ökonomen Kalecki am Oxforder Institute for Statistics. Dieser
Hintergrund und seine besonderen Fähigkeiten machten Steindl
zu einem der bedeutendsten, wenn nicht dem bedeutendsten
österreichischen Wirtschaftstheoretiker der letzten fünfzig
Jahre, der weit über die Grenzen des Landes hinaus bekannt
ist. Nichts spricht besser für die Originalität und Bedeutung
seiner Forschung als die Tatsache, dass sein magnum opus
- eine tiefschürfende Analyse über Maturity and Stagnation
in American Capitalism -, die vor ungefähr einem halben
Jahrhundert erschien, heute noch und gerade heute wieder
immer wieder zitiert und diskutiert wird. In diesem Werk
waren schon all die Charakteristika versammelt, die auch
seinen vielen und vielfältigen späteren Werken den Stempel
aufdrücken: eine besondere Präzision des Denkens und Klarheit
des Ausdrucks, welche die Lektüre seiner Arbeiten so gewinn
bringend machen, ein menschliches und soziales Engagement,
das seinen Arbeiten stets Relevanz verleiht und schliesslich
eine ungemein breite und vielseitige Bildung, welche ihn