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zu einer weiten interdisziplinären Sicht befähigte. Steindl
war nicht nur ökonomisch umfassend belesen, er hatte stets
auch ein aktives Interesse an den anderen Sozialwissen
schaften wie auch an den Naturwissenschaften und Technik.
Dazu kam ein intensives künstlerisches Interesse, vor allem
an Musik, aber auch für Literatur und Film.
Wie so mancher andere bedeutende Österreicher fand Steindl
im eigenen Land weniger und später als in anderen Ländern
die Anerkennung, die er verdiente. Als im Vorjahr aus Anlass
seines 80. Geburtstages in Wien zu seinen Ehren eine wissen
schaftliche Konferenz veranstaltet wurde, kamen Ökonomen
aus verschiedensten Ländern, insbesondere England, USA und
Italien, um ihm ihre Wertschätzung zu erweisen. Sein Buch
über die amerikanische Wirtschaft wurde in mehrere Sprachen
übersetzt, allerdings nicht ins Deutsche. Und voriges Jahr
erschien eine Sammlung seiner wichtigsten Arbeiten bei einem
der bedeutendsten englischen Verlage, bei Macmillan.
Steindls Werk wird weiterleben und weiter wirken. Was uner
setzlich verloren ist, ist ein ausserordentlicher Mensch,
ein ausserordentlicher Charakter. Josef Steindl war ein
stiller, bis zu einem gewissen Grad scheuer Mensch, der
sich nie in Szene setzte. In diesem Sinn war er zweifellos
und bewundernswert "unmodern". Aber wenn er im Kreis seiner
Freunde war und in einer intellektuell anregenden Umgebung,
dann konnte er ein ungemein stimulierender, kritischer,
aber auch humorvoller Partner sein, dem man gern zuhörte,
der aber auch selbst zuhören konnte und immer neuen Gedanken
und Ideen zugewandt blieb. Diese Kombination von unpräten
tiösem Verhalten und Offenheit gegenüber anderen Ideen er
klärt auch, dass er bis zuletzt zu jüngeren Generationen
Kontakt finden und bewahren konnte. Vor allem aber war
Steindl - und das möchte ich jetzt ganz einfach sagen, obwohl
es sehr viel enthält - ein anständiger Mensch, in des Wortes
weitester Bedeutung. Sein Mitgefühl und seine Hilfsbereit
schaft gegenüber anderen Menschen war immer präsent und