Full text: Jahrbuch der Export-Akademie des K. K. Österreichischen Handels-Museums (2)

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Wir können diese Reihenfolge der Ausgestaltung des Bildungs 
wesens in den meisten Staaten ganz deutlich verfolgen und fast in jedem 
Jahrzehnt finden wir eine «Frage» im Schulwesen auftauchen, welche 
die betheiligten Kreise beschäftigt. Und so sind wir denn gerade 
mitten in einer Bewegung angelangt, welche die commercielle Bildung 
betrifft und in den letzten Jahren, speciell in Deutschland, weitere 
Kreise erfasst hat. Als Ergebnis dieser Erscheinung sind die Gründungen 
und Projecte zur Errichtung von Handelslehranstalten, insbesondere 
von Handelshochschulen, im Deutschen Reiche zu betrachten, während 
man sich in England noch mit den Vorfragen und Erhebungen be 
schäftigt. In Österreich, Frankreich, Belgien und Holland hat das 
commercielle Bildungswesen eine ziemlich stetige Entwicklung genommen. 
In dem letzten Jahrzehnt wurde auch in der Schweiz, in Italien und 
den Balkanländern, sowie in den Vereinigten Staaten von Nordamerika, 
insbesondere aber in Japan, diesem Unterrichtsgebiete eine größere 
Aufmerksamkeit zugewendet, und auch in den nordischen Ländern 
von Europa gehört das Handelsschulwesen zu den modernen Ein 
richtungen. 
Es erscheint dies auch ganz natürlich, wenn man bedenkt, 
dass der Handel bis zu dem nie vorher geahnten Aufschwung des Ver 
kehrswesens mit wenigen Ausnahmen fast allgemein sich in ziemlich 
engen Grenzen bewegte und daher mehr Routine als Wissen und Kennt 
nisse beanspruchte. «Jeder Kreis menschlicher Thätigkeit muss eine ge 
wisse Entwicklungsstufe erreicht haben, bevor eine Reihe abstracter 
Erfahrungssätze sich angesammelt hat, welche dann das Bleibende im 
Wechsel, die theoretische Grundlage bilden und durch Forschung, 
Prüfung und Erweiterung zur Wissenschaft werden kann. Dies sehen 
wir an den verschiedenen Zweigen der menschlichen Thätigkeit, und 
je entwickelter, schwieriger und complicierter ein solches Gebiet ist, 
desto größer und umfangreicher wird diese Theorie sich gestalten, 
desto wertvoller wird die Kenntnis derselben für denjenigen, welcher 
sich diesem Berufe zuwenden will.» J ) Infolge der gründlichen theo 
retischen Kenntnisse wird der Betreffende sich viel schneller und sicherer 
in die Praxis einarbeiten und — die für jede Thätigkeit erforderliche 
Befähigung vorausgesetzt — in kurzer Zeit den «gelernten Praktiker» 
überflügeln, wenn dieser nicht den Mangel durch nachträgliche ein 
gehende Studien ersetzt. Der größte Vortheil der theoretischen Schulung 
liegt aber darin, dass der junge Mann vor der für ihn oft später sehr 
gefährlichen Einseitigkeit bewahrt wird, dass er eine gewisse Summe 
von Kenntnissen und soweit es an der Schule möglich ist, auch Fertig 
keiten sich aneignet, welche ihn befähigen, das von ihm gewählte Be 
rufsgebiet zu verlassen und ein anderes zu ergreifen, wenn das erstere 
sich für ihn nicht als vortheilhaft oder, was noch viel schmerzlicher 
ist, nicht als Befriedigung gewährend erweist. Wie häufig schmachtet 
ein einseitig gebildeter Mensch in den Ketten eines ihm nicht zu- 
*) Zeh den a. a. O.
	        
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