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sagenden, vielleicht sogar qualvollen Berufes, weil er keine Möglichkeit
hat oder kennt, einen anderen zu ergreifen. Wie viele tüchtige Leute
gibt es gerade im Handelsstande, die infolge ihrer speciellen Ausbildung
in einer Branche bei günstiger Conjunctur hohe Ansprüche stellen
dürfen, aber im Falle einer ungünstigen Geschäftslage noch viel häufiger
keine andere Stelle erlangen können. Der moderne junge Mensch
muss, um für den Kampf im Leben wohl ausgerüstet zu sein, außer
einem größeren allgemeinen Wissen ein derartiges Fachwissen besitzen,
welches ihm die Ausübung verschiedenartiger Berufsthätigkeit ermöglicht.
Das kann nur die Schule und nie die Praxis vermitteln. Darauf ist
auch oft die Überlegenheit einzelner Individuen und Nationen zu
rückzuführen. Die gute alte Zeit warf den Großhändlern und In
dustriellen infolge des Mangels an internationaler Concurrenz große
Gewinne in den Schoß, und der Kleinhandel war durch den Zunftzwang
hinreichend geschützt, um, ohne große Kenntnisse vorauszusetzen,
seinen Mann zur Wohlhabenheit zu führen, wenn er hauszuhalt'en
verstand.
Der große Aufschwung in der Technik, dem Verkehr und den
Wissenschaften hat den Handel vollständig umgestaltet. Einige begreifen
rascher, andere leider zu ihrem Nachtheile langsamer, dass es nun anderer
Eigenschaften und Methoden bedarf als vorher, um als Kaufmann
reüssieren zu können.
Sollen aber die Vorbildungsschulen für den Handelsstand stets
den an sie zu stellenden Anforderungen genügen, so müssen die sich
in der kaufmännischen Praxis ergebenden Veränderungen aufmerksam
beachtet und die Einrichtungen der Schulen dementsprechend auch
umgestaltet werden. Auf keinem Gebiete ist Stillstand so sehr
Rückschritt wie im Handelsverkehr, und nicht alle Fachschulen haben
das Unglück, dass, wenn sie nicht gänzlich Modernes lehren, die
Schüler mehr Schaden als Nutzen davon haben, wie dies bei den
kaufmännischen Unterrichtsanstalten der Fall ist. Deshalb bedürfen auch
gerade die Handelslehranstalten fortwährender Reformen, wenn sie ihrer
Aufgabe gewachsen bleiben sollen.
Wenn man das Handelsschulwesen überblickt, dessen Entwicklung
und Stand in den verschiedenen Ländern einem größeren Werke Vor
behalten werden soll, so kann constatiert werden, dass in keinem Staate
den geänderten Verhältnissen entsprechend der Handelsunterricht so
häufig umgestaltet wurde, wie in Österreich; dies muss einerseits mit
Befriedigung erfüllen, ist aber andererseits leider auch darauf zurück
zuführen, dass dem stärker zutage tretenden Bedürfnisse nicht selten
viel zu geringe finanzielle Mittel gegenüberstanden, weshalb eine Reform
eingeschränkt oder nach einiger Zeit wieder aufgehoben werden musste,
so dass dann wieder für neue Reformen Gelegenheit, Grundlagen und
Mittel vorhanden waren.