Full text: Jahrbuch der Export-Akademie des K. K. Österreichischen Handels-Museums (2)

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vielleicht manchmal durch unliebsame Erfahrungen, kennen lernt, und 
nur wenige im Lehramte bereits thätige Herren werden sich dann eine 
längere praktische Thätigkeit zu ihrer weiteren Ausbildung auferlegen; 
Nur auf die mangelnde praktische Erfahrung ist es zurückzuführen, 
wenn wichtige Capitel des Lehrplanes übergangen und unwichtige 
Capitel breitspurig behandelt werden; man sieht das sogar an manchem 
Lehrplan. Um Missverständnisse zu vermeiden, muss aber hier auch 
gesagt werden, dass Herren, welche lange Zeit in der Praxis 
thätig waren, im allgemeinen nicht vielleicht als die besten Lehr 
kräfte gelten können, und man hat auch in dieser Beziehung an 
verschiedenen Anstalten sehr schlechte Erfahrungen gemacht. Der junge 
Mann muss unbedingt noch vor seinem dreißigsten Jahre zum Lehrberufe 
gelangen, denn die Praxis lässt ihm gewöhnlich keine Zeit, zur Weiter 
bildung und Wiederbelebung des erworbenen Wissensstoffes. Ein Mann, 
welcher zwanzig Jahre das Salda-Conti oder die Prima-Nota geführt 
hat, kann nicht als das Ideal eines kaufmännischen Lehrers angesehen 
werden, weil er einen zu geringen Gesichtskreis, einseitige Ausbildung 
und meist nicht das Talent hat, einen systematisch und pädagogisch rich 
tigen Unterricht zu ertheilen; Procuristen werden sich sehr selten dem 
Lehrberufe widmen, weil dem Lehrer ein Theil des Gehaltes in 
ideellen Gütern vergütet wird und der Geschäftsleiter auch nicht 
mehrere Stunden des Tages abwesend sein kann. Durch das Er 
gebnis der Unfähigkeit von älteren Praktikern für das Lehramt sind 
eben viele Fachmänner zu der Überzeugung gelangt, dass die Praxis 
gar nicht als nothwendig für den Lehrer gelten kann, weil ihm 
dann oft wichtigere Eigenschaften abgehen. Die praktische Erfahrung 
ist keineswegs die wichtigste Eigenschaft eines guten Lehrers, das soll 
durch die vorhergehenden Zeilen nicht behauptet werden; sie ist aber 
für den vollständig gebildeten Handelslehrer unentbehrlich, und das ist 
wohl genug, um sie als Erfordernis anzusehen. 
Der gute Lehrer muss überhaupt Eigenschaften haben, die ihm 
weder die Schule noch die Praxis verleihen kann, und in dieser Hin 
sicht sollen gerade hier einige Worte eingefügt werden. Nur derjenige, 
welcher in sich den inneren Beruf fühlt, lehrend zu wirken und ein 
angeborenes Talent hiezu hat, welches mit Sorgfalt ausgebildet wird, 
kann es zum vortrefflichen Lehrer bringen. Nichts rächt sich so bitter, 
als wenn man «überredet» wurde, sich dem Lehrfache zuzuwenden. Der 
Betreffende wird selten darin Befriedigung finden. Vor allem muss der 
Lehrer durch jenes Wohlwollen charakterisiert werden, welches uns zu 
so manchen unserer Lehrer von der ersten Stunde hingezogen und 
zur Arbeit förmlich begeistert hat. Ein umfassendes Wissen, fachliche 
Tüchtigkeit und Urtheilsfähigkeit, sowie das Vermögen, sich klar und 
in kurzen Worten verständlich zu machen, gelten für jeden Lehrer als 
wünschenswerte Eigenschaften. Beim Handelslehrer tritt nur noch die 
Forderung hinzu, dass er bei seiner Thätigkeit stets die eben gelten 
den Verhältnisse in Betracht ziehen und die Prüfungen den Anforde 
rungen des praktischen Betriebes möglichst nahe bringen muss.
	        
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