165
vielleicht manchmal durch unliebsame Erfahrungen, kennen lernt, und
nur wenige im Lehramte bereits thätige Herren werden sich dann eine
längere praktische Thätigkeit zu ihrer weiteren Ausbildung auferlegen;
Nur auf die mangelnde praktische Erfahrung ist es zurückzuführen,
wenn wichtige Capitel des Lehrplanes übergangen und unwichtige
Capitel breitspurig behandelt werden; man sieht das sogar an manchem
Lehrplan. Um Missverständnisse zu vermeiden, muss aber hier auch
gesagt werden, dass Herren, welche lange Zeit in der Praxis
thätig waren, im allgemeinen nicht vielleicht als die besten Lehr
kräfte gelten können, und man hat auch in dieser Beziehung an
verschiedenen Anstalten sehr schlechte Erfahrungen gemacht. Der junge
Mann muss unbedingt noch vor seinem dreißigsten Jahre zum Lehrberufe
gelangen, denn die Praxis lässt ihm gewöhnlich keine Zeit, zur Weiter
bildung und Wiederbelebung des erworbenen Wissensstoffes. Ein Mann,
welcher zwanzig Jahre das Salda-Conti oder die Prima-Nota geführt
hat, kann nicht als das Ideal eines kaufmännischen Lehrers angesehen
werden, weil er einen zu geringen Gesichtskreis, einseitige Ausbildung
und meist nicht das Talent hat, einen systematisch und pädagogisch rich
tigen Unterricht zu ertheilen; Procuristen werden sich sehr selten dem
Lehrberufe widmen, weil dem Lehrer ein Theil des Gehaltes in
ideellen Gütern vergütet wird und der Geschäftsleiter auch nicht
mehrere Stunden des Tages abwesend sein kann. Durch das Er
gebnis der Unfähigkeit von älteren Praktikern für das Lehramt sind
eben viele Fachmänner zu der Überzeugung gelangt, dass die Praxis
gar nicht als nothwendig für den Lehrer gelten kann, weil ihm
dann oft wichtigere Eigenschaften abgehen. Die praktische Erfahrung
ist keineswegs die wichtigste Eigenschaft eines guten Lehrers, das soll
durch die vorhergehenden Zeilen nicht behauptet werden; sie ist aber
für den vollständig gebildeten Handelslehrer unentbehrlich, und das ist
wohl genug, um sie als Erfordernis anzusehen.
Der gute Lehrer muss überhaupt Eigenschaften haben, die ihm
weder die Schule noch die Praxis verleihen kann, und in dieser Hin
sicht sollen gerade hier einige Worte eingefügt werden. Nur derjenige,
welcher in sich den inneren Beruf fühlt, lehrend zu wirken und ein
angeborenes Talent hiezu hat, welches mit Sorgfalt ausgebildet wird,
kann es zum vortrefflichen Lehrer bringen. Nichts rächt sich so bitter,
als wenn man «überredet» wurde, sich dem Lehrfache zuzuwenden. Der
Betreffende wird selten darin Befriedigung finden. Vor allem muss der
Lehrer durch jenes Wohlwollen charakterisiert werden, welches uns zu
so manchen unserer Lehrer von der ersten Stunde hingezogen und
zur Arbeit förmlich begeistert hat. Ein umfassendes Wissen, fachliche
Tüchtigkeit und Urtheilsfähigkeit, sowie das Vermögen, sich klar und
in kurzen Worten verständlich zu machen, gelten für jeden Lehrer als
wünschenswerte Eigenschaften. Beim Handelslehrer tritt nur noch die
Forderung hinzu, dass er bei seiner Thätigkeit stets die eben gelten
den Verhältnisse in Betracht ziehen und die Prüfungen den Anforde
rungen des praktischen Betriebes möglichst nahe bringen muss.