Full text: Jahrbuch der Export-Akademie des K. K. Österreichischen Handels-Museums (2)

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einzelnen Wissenszweige tiefer 1 und weiter zu bearbeiten und hiebei alle 
praktischen Erfahrungen berücksichtigt werden müssen, dass oft ein Lehrsatz 
das Ergebnis von vielen praktischen Fehlgriffen und falschen Maßnahmen ist, 
der nun •— alleinstehend betrachtet — sehr theoretisch und abstract 
aussieht, aber, auf der Praxis .beruhend, für die Praxis wichtig ist. 
Andererseits kann aber auch ein auf rein wissenschaftlichem Wege ge 
fundener Grundsatz für die Praxis von Bedeutung sein, oder ein in der Praxis 
sich ergebendes Resultat speciell für die Wissenschaft größeren Wert be 
sitzen. Hunderte von Beispielen zeigen uns das auf anderen Gebieten, und 
Namen wie Galvani, Edison, Röntgen, Koch, Marconi etc. rufen alle diese 
Beziehungen zwischenTheorie und Praxis wach. Warum sollten dieselben 
gerade auf dem Gebiete der Wirtschaft und des Handels nicht bestehen? 
Das Wissen besteht ja zum großen Theile aus gemachten Er 
fahrungen, und diese können gewiss auch für jeden angehenden 
Kaufmann wertvoll sein. Es muss auch beachtet werden, dass schon 
jetzt in Deutschland und anderen Ländern die großen Kaufleute ihre 
Söhne .einige Jahre an der Universität oder Technik studieren ließen, 
bevor sie in das Geschäftsleben eintraten, von der sehr richtigen 
Überzeugung ausgehend, dass der größere Gesichtskreis, das gründliche 
Studium etc. für den Kaufmann so wertvoll ist, dass es gar nicht auf 
die Wichtigkeit des Wissensgebietes selbst ankommt. Um wie viel vor- 
theilhafter kann dem jungen Kaufmanne dies für seine spätere Laufbahn 
an einer Handelshochschule geboten werden. 
Ein weiteres wichtiges Bedenken der Praktiker wird durch die 
Äußerlichkeiten des Hochschullebens, durch das studentische 
Treiben, veranlasst. Inwieweit gerade die studentische Freiheit auf die 
auch dem Kaufmanne förderlichen Charaktereigenschaften einwirkt, wird 
hiebei ganz übersehen und kann leider hier nicht ausführlicher er 
örtert werden, aber sicher kann Freiheit, Ausbildung von Charakter 
festigkeit, Reellität, Muth und Selbständigkeit der Thätigkeit nicht 
hinderlich sein, die auf «Treu und Glauben» beruht, und für welche 
kein Sprichwort größere Bedeutung hat, als «Selbst ist der Mann». 
Dass es in dieser Hinsicht Auswüchse gibt, die für junge Leute gefährlich 
werden können, wird wohl von niemand bestritten; aber in der mannig 
fachen Versuchung und der Möglichkeit eines ungünstigen Einflusses 
während der Studienjahre liegt nicht der geringste Wert dieser 
Verhältnisse. Hier kann der junge Mann im engen Kreise Talente und 
Charakter prüfen, bilden und beweisen, bevor er in der harten Schule des 
Lebens mehr Lehrgeld zahlen muss. Wie häufig kommt es auffallenderweise 
gerade bei jungen Kaufleuten vor, dass sie höhere Ziele aus dem Auge ver 
lieren und Vergnügungen als Lebenszweck betrachten. So manche That- 
sachen, die uns allen bekannt sind, müssen uns zu denken geben, wenn 
wir Vergleiche anstellen, und es nicht ungünstig erscheinen lassen, dass der 
junge Kaufmann schon vor seiner praktischen Thätigkeit die nur durch 
Selbständigkeit und Freiheit zu erlangende Zielbewusstheit und Charakter 
festigkeit erreicht. Wieviele würden später im Leben nicht ver 
sinken, wenn sie Freischwimmen gelernt hätten.
	        
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