Wörter unterdrückt, so fällt dem Leser des Stenogramms die Aufgabe
zu, alle die fehlenden Formen beim Lesen sinngemäß zu ergänzen 1 ).
Was vollends die durch die Satzkürzung stark reducierten Schrift
bilder anbelangt, so stellt ihre Entzifferung an die Intelligenz des
Übertragenden noch höhere Anforderungen.
Vielleicht stieße er schon auf einige Schwierigkeiten, wenn er
einen gewissen Satz, den er aus der englischen Stenographie in die
englische Sprache übertragen soll, in gleichem Ausmaße gekürzt in
deutscher Stenographie vor sich hätte. Diese Schwierigkeit verdoppelt
sich nun aber dadurch, dass er sich obendrein einer fremden Sprache
gegenübersieht.
Da mag sich denn beim Lesen fremdsprachlicher Stenogramme
mancher psychologisch interessante Process abspielen. Der Übertragende
fragt sich etwa, wie wohl dieses oder jenes ihm Schwierigkeiten
bietende englische oder französische Wort in deutscher Übersetzung
heißen würde — indem er dies aus dem Zusammenhänge zu erschließen
trachtet — und sucht dann in seinem Wortschätze den adäquaten
fremdsprachlichen Ausdruck; oder aber er kommt auf anderem, nicht
minder instructivem Wege ans Ziel. Die Wörter aber, mit denen er
sich auf diese Weise bekannt gemacht hat, werden als unveräußerliches
Gut seinem englischen oder französischen Wortvorrathe einverleibt sein.
Da endlich die Übertragung eines größeren Satzgefüges auch
ein richtiges Erfassen des syntaktischen Aufbaues nöthig macht, so
festigt und vertieft der Lernende seine Kenntnisse noch in einem
weiteren wichtigen Theile der Grammatik, in der Satzlehre.
Alles in allem: es gibt kaum eine sinnigere, anregendere Art,
sich in einer fremden Sprache grammatisch und stilistisch zu schulen
und zu vervollkommnen, als das Lesen gut gekürzter Stenogramme,
und kaum eine eclatantere Bescheinigung unseres Einblickes in den
Genius einer Sprache, als die Fähigkeit, im Fluge der Rede zu ent
scheiden, was von einem Worte unbedingt im Stenogramm vorhanden
sein muss, und was nach den Gesetzen der Grammatik und den Regeln
des guten Stiles, nach dem allgemeinen Sprachgebrauch und der
ganzen Structur einer Sprache sich von selbst versteht und somit nicht
fixiert zu werden braucht.
Es kann als Axiom gelten: ein Stenograph wird umso tüchtiger
sein, je mehr er die Sprache, in der er stenographiert, in seiner Ge
walt hat; und wiederum: sein Einblick in den Bau einer Sprache,
seine Beherrschung derselben nimmt in dem Maße zu, in dem er sich
stenographisch in ihr bethätigt.
Bei der mannigfaltigen Anregung, die, wie wir gesehen haben,
das Erlernen einer fremdsprachlichen Stenographie bietet, konnte es
nicht fehlen, dass den Vorträgen sowohl von den Hörern der Export-
b So z. B. in der englischen Stenographie das s des Plurals der Haupt
wörter und das s der 3. Pers. Einz. Gegenw.; die Endung ed des Mittelwortes
der Vergangenheit der schwachen Zeitwörter und die Endungen er und est der
zweiten und dritten Steigerungsstufe.