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„Business Colleges“, den wichtigsten Theil des Unterrichtes — das
„Heiligthum jeder Anstalt“.*') Hofrath Dr. Zehden berichtete hierüber:
„Das Mustercomptoir besteht da meist aus einem großen Saal
mit Oberlicht, dessen eine Wand ein riesiges Katheder, eine große
Tafel und einige Landkarten ausfüllen. An den übrigen Wänden zieht
sich eine ganze Reihe logenartiger Verschlage hin, verschieden groß
und geräumig genug, dass in jedem derselben mehrere junge Leute
bequem arbeiten können. Diese Logen stellen verschiedene Offices dar,
so ein Post-, Telegraphen-, Express-, Bank-, Fabriks-, Bahnoffice etc.
Das Äußere dieser Bureaux ist oft genau dem Aussehen des wirk
lichen Bureaus nachgeahmt, ln der Mitte des Saales befindet sich
eine Reihe von Arbeitspulten.
„Die größte der Arbeitsgruppen repräsentiert gewöhnlich ein Bank
haus, kleinere Gruppen stellen die einzelnen Arten von Waren
geschäften, welche in den betreffenden Städten am häufigsten Vor
kommen, dar, ferner alle jene Hilfsgeschäfte, die zur Durchführung der
auszuarbeitenden Geschäftsoperationen erforderlich erscheinen: Jede
Gruppe arbeitet einen Geschäftsgang vom Beginn bis zum Abschluss
aus und die einzelnen Gruppen stehen untereinander in Verbindung.
Dadurch erscheint der Unterricht als ein fortwährendes Zusammen
arbeiten, Hin- und Hergehen, Fragen etc. der Schüler und löst sich
dadurch vielfach in Einzelunterricht auf, der seine Verbindung nur
durch die theoretischen Vorträge, welche täglich mehrere Stunden in
Anspruch nehmen, erhält. Fis ist auf den ersten Blick klar, dass es die
Meisterhand eines Lehrers erfordert, in diese ewige Bewegung und
Vielseitigkeit Ordnung zu bringen und zugleich einen Fortschritt zu
erzielen. Da gute Lehrer für Privatschulen wichtiger sind als für
Staatsanstalten, viele gute Lehrer aber von diesen zu Erwerbszwecken
betriebenen Instituten nicht bezahlt werden können, so hat jede solche
Schule einen „Star“, dessentwegen auch viele Schüler speciell in die
betreffende Schule eintreten. Derselbe ist stets Vertreter der kauf
männischen Fächer und Leiter des Mustercomptoirs, verhältnismäßig
wenige Anstalten können sich daneben noch einen zweiten „Star“
gönnen. Der Lehrer des Mustercomptoirs nimmt die hervorragendste
Stellung im Lehrkörper ein, da die Lösung der Hauptaufgabe des
Programmes auf seinen Schultern ruht. Er wird daher auch bedeutend
höher honoriert als die übrigen Lehrkräfte.
„Charakteristisch für diese Schulen ist auch das Schülermaterial,
welches sich aus jungen Männern, Mädchen und Frauen von 15 bis
über 30 Jahren zusammensetzt.
„Aufnahmsprüfungen sind unbekannt, ebensowenig irgendwelche
Anforderungen bezüglich der vorhergehenden Absolvierung einer
Anstalt. Wer eintritt, muss sehen, wie er mitkommt. Die Köpfe werden
nicht wie bei uns durch so und soviele Prüfungssiebe durchgesiebt,
*) Siehe Professor Dr. Karl Zehden, „Die Handelsschulen Amerikas“,
Rectorsrede vom 14. October 1876. Jahresbericht der Wiener Handelsakademie 1877.