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scheint sich damit gleichsam von selbst aufzulösen. Vollste Wahrung
des geistigen Eigenthums, thunlichste Erleichterung aller Schritte zur
Erwerbung des Rechtes auf einen möglichst lange dauernden Schutz,
scharfe Maßregeln gegen jeden Versuch einer Nachahmung, das un
gefähr wären die Umrisse eines bloß aus individualistischen An
schauungen hervorwachsenden Musterschutzrechtes. Auch die Analogie
mit dem geistigen Eigenthum an Werken der Wissenschaft und Kunst
oder an gewerblichen Erfindungen drängt in dieselbe Richtung; und
Marken- und Musterschutz, wer wollte gar dieses Zwillingspaar einer
inneren Ungleichheit verdächtigen?
Allein schon eine flüchtige Erwägung reicht hin, um das Un
zureichende jener individualistischen Motivierung des Musterschutzes
zu beweisen. Die höchste Gerechtigkeit gegen einen Erfinder wird sofort
zur höchsten Ungerechtigkeit gegen alle anderen. Ein indischer Exporteur
sendet Mustersammlungen von mit Katzenköpfen verzierten Taschen
tüchern nach Europa; der deutsche Importeur erwirbt mit gewohnter
Sorgfalt und Eile sofort seinen Musterschutz; soll der Österreicher
ihn nicht mehr erwerben dürfen? Paris und Lyon dictieren die Gesetze
der Mode für den ganzen Seidenmarkt; ihre Muster sind vielleicht
nicht geschmackvoller als die Muster anderer Productionsstätten, aber
sie herrschen ratione originis. Sind die anderen Gebiete nicht übel
genug daran, wenn das tonangebende Land einen gar nicht ein
zuholenden zeitlichen und oft auch durch besondere Berücksichtigung
seiner Productionsbedingungen einen sachlichen Vorsprung hat; sollen
sie selbst auch ihrer Industrie noch die Nachahmung erschweren? So
könnte ja eine Production irgend eines Landes durch irgend eine aus
ländische Verbesserung, z. B. unsere Fezfabrication durch den französi
schen Unterfez zugrunde gerichtet werden. Ein zu strenges Muster
schutzgesetz könnte daher, zumal die Regeln internationaler Coulance
zu gleich intensivem Schutze des In- und Ausländers zwingen, geradezu
selbstmörderische Wirkungen auf die schwächere inländische Industrie
haben.
Man würde vielleicht geneigt sein, dawider einzuwenden, der Er
finder solle in seinem Rechte nicht verkürzt werden; die Industrie solle
nicht vom Diebstahl an fremden Ideen leben. Allein wer dies sagt,
zeigt, dass er weder vom wirklichen Leben noch von dem Gegen
stände des Musterschutzes eine hinreichend klare Vorstellung hat. Die
Erfindungen, um die es sich hier handelt, werden von jedem Zeichner
dutzendweise in jeder Woche geleistet. Man darf den wirklichen Lei
stungen des Erfindungsgeistes gar nicht die Entwürdigung anthun, sie
mit der Musterfabrication auf eine Linie zu stellen.
Es wäre freilich absurd zu behaupten, nur die frühere Publication
habe andere Dichter verhindert, den „Erlkönig“ oder „die Glocke“ selbst
zu dichten, und ohne James Watt hätte ein anderer im Jahre 1784
die erste Dampfmaschine fertiggestellt. Aber es ist keineswegs so
absurd zu behaupten, dass, wenn die Fabrik A nicht auf die Idee
gekommen wäre, Celluloid in einer gewissen Form als Briefbeschwerer