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Das falsche Verhältnis des Übungscomptoirs zu dem Unterricht
in den übrigen Handelsfächern, beziehungsweise der Wegfall des
letzteren ist theilweise auf die Sucht, allen Unterricht so praktisch
als möglich zu gestalten, zurückzuführen. Es muss immer wieder als
schwerer pädagogischer Fehler bezeichnet werden, wenn Vorgänge
oder Erscheinungen des praktischen Lebens genau nachgeahmt als
Unterrichtsmethode angenommen werden. Diese unrichtige Ansicht
wurde leider dadurch veranlasst, dass sich der Unterricht im Laufe
der Zeit immer mehr und mehr von den Bedürfnissen des Lebens
entfernt, und nun sollen — da man dieses Übel fühlt — neue
Methoden den bestehenden Ansprüchen genügen helfen, weil eine
Reform der Methode weniger Schwierigkeiten bereitet als
eine Reform der Unterrichtsorganisation, während doch nur
letztere das gewünschte Resultat ergeben kann.
Es erscheint nur begreiflich, wenn man dann diese Methoden
der Praxis direct entnimmt, anstatt zu bedenken, dass sich in der Praxis
nie eine Methode findet, sondern dass sich jede Unterrichtsmethode
durch pädagogisch-didaktische Anforderungen ergibt. Behufs Erlangung
einer geeigneten Methode wäre daher ein Vorgang theoretisch auf
zusuchen, welcher in seinem Ergebnis den Anforderungen
der Praxis am meisten entspricht.
Das richtige Verhältnis des Übungscomptoirs als Lehrgegenstand
zu den übrigen Fächern an einer organisierten Lehranstalt kann nur
derart bestehen, dass die Schüler im Übungscomptoir den Zusammen
hang der in den einzelnen Handelsfächern bereits erworbenen Kennt
nisse und Fertigkeiten, ihre richtige und angemessene Anwendung
kennen lernen, wobei die infolge der Arbeiten zufällig veranlassten
Wiederholungen in den einzelnen Fächern vorgenommen werden, um
so, auf dem bisherigen Fachunterricht weiterbauend, die Lernenden auf
die Anforderungen in der kaufmännischen Praxis vorzubereiten; keinesfalls
aber kann das Übungscomptoir eine vollständige Wiederholung aller
Gegenstände oder auch nur aller Fachgegenstände in sich begreifen.
Ein anderer Irrthum besteht darin, dass Mustercomptoir auch
als Gesammtausdruck für den commerciellen Unterricht gebraucht und
darunter der Unterricht in Handelskunde, Arithmetik, Correspondenz,
Buchhaltung, Technik des Handelsbetriebes, Bank- und Börsenwesen etc.
gemeint ist. Dies erscheint unrichtig, weil das Mustercomptoir nur
die Übung, die gelegentliche Anwendung der Kenntnisse in
dem einen oder anderen Gegenstände bedingt, nicht aber einen Ge
sammtausdruck für eine Reihe von Vorträgen bedeuten kann. Eine
große Gefahr für die Ersprießlichkeit des Übungscomptoirunterrichtes
und sein Verhältnis zu den übrigen Fächern entsteht, so sonderbar es
auch erscheinen mag, durch die große, stets steigende Beachtung, die
man demselben schenkt. Das Übungscomptoir ist nicht zur Parade da,
hier soll von allen Lernenden gearbeitet und nicht ein glänzendes
Schauspiel für Besucher aufgeführt werden. Gerade die ruhige, emsige
Arbeit soll hier gelernt und geübt werden. Ein gut geleitetes Übungs-