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Schriftstück die wichtigen, eine Erledigung erheischenden Punkte heraus
zusuchen. Man würde thatsächlich nicht vermuthen, wie ungeschickt
ein Absolvent einer Handelslehranstalt, an welcher Correspondenz
und Mustercomptoir auf Grund von Angaben betrieben wird, sich an
stellt, wenn er zum erstenmal einen Brief beantworten soll.
Wird den Arbeiten ein sogenannter Geschäftsplan zugrunde ge
legt, so sollte wenigstens Wert darauf gelegt werden, dass die Er
ledigungen der nach dem Plane angefertigten Schriftstücke auf Grund
derselben und nicht nach den Angaben erfolgen.
Die thatsächlich einlangende Correspondenz von Geschäftshäusern
vorzulegen, hat den Nachtheil, dass sie nicht von allen Schülern ein
gesehen werden kann und hie und da fehlerhaft ist. Diese Unterrichts
grundlage entzieht sich auch ganz der Ingerenz des Lehrers, wodurch
eine wirkliche Leitung des Übungscomptoirs ausgeschlossen erscheint.
Selbst erdachte Geschäftsfälle werden nur zu häufig unmögliche
und unsinnige Situationen schaffen, weil bei diesem Vorgang die Phan
tasie des Schülers, der durch den Unterricht die Praxis erlernen,
aber nicht erdenken soll, als Grundlage dient.
Wirkliche Geschäfte durchzuführen, um die Grundlage für einen
Unterricht zu gewinnen, ist ein sehr riskantes Beginnen und geht ent
schieden zu weit, danach müsste die Technik Häuser und Eisenbahnen
bauen. In der Art der Arbeiten ergibt sich kein so bedeutender Unter
schied, und der Vortheil des gesteigerten actuellen Interesses wird durch
den Nachtheil, dass weniger Geschäfte gemacht und daher geübt werden
können, insbesondere aber durch die Schwierigkeiten, mit einer Schule
ein fortlaufendes Unternehmen zu verbinden und den hiefür geeigneten
Mann zu erhalten, weitaus aufgehoben.
So vielgestaltig die Durchführung des Übungscomptoirs auch
aussehen mag, so sehr man auch in dem Vorgang durch alle erdenk
lichen größeren und kleineren Änderungen „neue Formen des Übungs
comptoirs“ schaffen kann, so gering ist die Zahl der ernst zu nehmenden
und bei pädagogisch-didaktischen Untersuchungen in Betracht zu
ziehenden Grundformen, und wenn man sich die Mühe nehmen würde,
alle Umstände und Verhältnisse, unter welchen das Übungscomptoir an
einer Anstalt functionieren soll, bei der Aufsuchung der geeigneten
Methode oder Form zu berücksichtigen, so dürften sich in den meisten
Fällen nur ein oder zwei passende Formen der Durchführung ergeben.
Es sollen daher vorerst für die einzelnen bereits bestehenden Formen
die Vortheile und Nachtheile derselben festgestellt und die Grund
formen aufgesucht werden. Daraus ergibt sich dann unschwer, unter
welchen Umständen die einzelnen Formen anzuwenden wären.
Sollen derartige Erörterungen dem Ziele näher bringen und die
Entscheidung erleichtern helfen, so müssen selbstredend die den ein
zelnen Formen anhaftenden Nachtheile, ohne andere Rücksichten zu
nehmen, aufgedeckt werden, so unangenehm dies im einzelnen Falle
auch sein mag. Eine Verständigung konnte gerade deshalb bisher
schwer erzielt werden, weil jeder „sein“ Mustercomptoir als das beste