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Berechtigung, daß man in den Darstellungen vieler praktischer Lehr
meister und in den Lehrbüchern zahlreicher Verfasser das Wesen der
doppelten Buchhaltung an den komplizierten Geschäftsgängen und der
Masse von Geschäftsbüchern nicht erkenne und daher vor lauter
Bäumen den Wald nicht sehen könne. Diesen zwei Schweizer Fach
gelehrten, Hügli und Schär, von welchen der erstere leider schon
im Vorjahre das Zeitliche gesegnet hat, blieb es Vorbehalten, mit den
herkömmlichen Lehranschauungen energisch zu brechen und mit einer
»auf pädagogischen Grundsätzen beruhenden und aus dem allgemein
wirtschaftlichen Prinzipe abgeleiteten wissenschaftlichen Behandlung
der. gesamten Buchhaltung« zu beginnen und diese Theorie in den
Kreisen jener Fachleute zu verbreiten, welche »das Bedürfnis nach
einer weniger handwerksmäßigen und mehr wissenschaftlichen Be
handlung der Buchhaltung und des Buchhaltungsunterrichtes« emp
finden.
Nachdem Paciolo in seinem »Traktat« über die doppelte Buch
haltung eigentlich keine Theorie, sondern nur die »Regeln« zur Führung
derselben gegeben hat, so ist seine Arbeit durch vier Jahrhunderte
das »Rezept« zur Herstellung der meisten Lehrbücher geblieben.
Pfadfinder auf dem Wege zu einer natürlichen Theorie, wie Hügli
sich ausdrückt, sind erst in den Jahren 1850 und 1852, also ungefähr
zu gleicher Zeit, zwei deutsche Autoren geworden, Georg Kurzbauer
in Wien und G. D. Augspurg in Bremen, welche — vielleicht durch
das Studium der Schriften von Simon Stevin 1 ) und Mathieu de
la Porte 2 ) inspiriert — das Verhältnis der beiden Kontenreihen
erkannt und in ihren Werken 3 ) dargestellt haben, wenn sie auch bei
dieser Darstellung immer noch unter dem Drucke des empfangenden
Debitor, welchem der gebende Kreditor gegenüberstehen muß, leiden.
Augspurg hat wenig Anhänger für seine Theorie gefunden, während
es Kurzbauer etwas besser ging, nachdem seine Theorie der Be
stand- und Erfolgskonten in den österreichischen, speziell Wiener
Handelsschulen wohl gelehrt, aber mit der Zeit immer mehr verwischt
wurde, so daß sie gegenwärtig im Aussterben begriffen wäre, wenn
nicht Hügli und Schär in den Jahren 1887 und 1888*) mit ihren
zwei Kontenreihen hervorgetreten wären und dadurch auf die Kurz
bau er sehe Theorie wieder aufmerksam gemacht hätten.
b Brügge 1605.
2 ) Paris 1685.
s ) Die kaufmännische Buchführung, von G. D. Augspurg, 1. Teil, Bremen
1852; 2. Teil, 1855; 2. Auflage, Hamburg 1872, bei Boyes & Gaisler.
Lehrbuch der kaufmännischen Buchhaltung, von Georg Kurzbauer, Wien
1850; 4. Auflage, herausgegeben von Max Kurzbauer, Wien 1882, bei Karl
Gerolds Sohn.
4 ) Die Buchhaltungssysteme und Buchhaltungsformen, von F. Hügli, Bern,
K. J. Wyß, 1887.
Lehrbuch der Buchhaltung von J. F. Schär, Stuttgart, Julius Maier, 1888.