Full text: Jahrbuch der Export-Akademie des K. K. Österreichischen Handels-Museums (6)

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Standpunkte aus, da es sich doch geradezu um Verminderung einer 
Volksvergiftung handelt, als eine völlig unabweisliche Pflicht jedes 
modernen Staates anzuerkennen. Allerdings ist es noch sehr fraglich, 
ob man dabei auf die unbedingte Zustimmung der meisten erklärten 
Antialkoholisten rechnen kann. Doch ist zu befürchten, daß der 
intransigente Standpunkt vieler offizieller Vertreter des Antialkoholismus 
ihre mit der größten Sympathie zu begrüßende Agitation verhindern 
könnte, jemals die volle Ausdehnung anzunehmen, welche ihr im 
Interesse der menschlichen Kultur zu wünschen wäre. Von dem Stand 
punkte des intransigenten Abstinenten ist das Alkoholmonopol vielleicht 
ebenso verwerflich wie jede andere Maßregel, abgesehen von der 
völligen Verhinderung des Genusses von Spirituosen. Es wird dem 
Antialkoholisten strengster Observanz als unsittliches Kompromiß er 
scheinen, wenn der Staat das Branntweintrinken gewissermaßen als 
staatliche Einrichtung anerkennt, indem er selbst den Ausschank über 
nimmt. Allein die Ablehnung dieser Maßregel aus diesem Grunde wäre 
doch nichts anderes als eine törichte Vogel-Strauß-Politik. Ob der 
Staat die Tatsache der Trunksucht anerkennen will oder nicht, die 
Tatsache bleibt ja doch bestehen. Fürst Bismarck konstatiert, daß in 
seiner ländlichen Umgebung nur derjenige nicht täglich seinen Brannt 
wein trinke, der das Geld nicht dazu habe. Wer auch nur eine Vor 
stellung davon hat, wie schwer es einem Raucher wird, diese lieb 
gewordene Gewohnheit abzulegen, und bedenkt, um wieviel tiefer der 
Alkoholismus, einmal angewöhnt, durch die Zusammensetzung des Blutes 
dem Willen des Trinkers gewissermaßen imprägniert ist, wird sich 
doch nicht der Hoffnung hingeben, durch irgend welche Maßregel die 
Gewohnheit des Trinkens ganz und gar beseitigen oder von einem 
Jahre zum nächsten auch nur stark reduzieren zu können. Ist sie aber 
kaum in Generationen ausrottbar, so bleibt nichts anderes übrig als 
das von den radikalen Abstinenten so gern verhöhnte Streben nach 
Mäßigkeit. Gewiß liegt das Argument nahe, daß die Mäßigkeit ein 
unbestimmter Begriff sei und von jedem Individuum anders gedeutet 
werden könne. Allein mit dieser seichten Einwendung könnte man 
über das ganze herrliche altgriechische Prinzip des weisen Maßes in 
allen Dingen, wie es in dem Aristotelischen Grundsätze von der 
richtigen Mitte im Plandeln gipfelt, ein für allemal zur lagesodnung 
übergehen, während doch dieser Grundsatz jeden lag von jedem ge 
scheiten Menschen in seiner ganzen Lebensführung verwirklicht werden 
muß. Gewiß, es gibt im Alkoholismus Grenzen des Maßes, welche für 
jedes Individuum verschieden sind. Pis gibt aber auch eine Normal 
grenze für normale Menschen. Indem uns die leidenschaftlichen Vor 
kämpfer des Antialkoholismus auch denjenigen Genuß entziehen möchten, 
welcher noch weit hinter dieser Normalgrenze zurückbleibt, verfallen 
sie in den Fehler, selbst das Prinzip des weisen Maßes zu verletzen 
und dadurch die größte Zahl ihrer latenten Bundesgenossen von der 
Teilnahme an dieser Kulturbewegung abzuschrecken. Indem sie 
die Verpflichtung zu völliger Abstinenz fordern und aus jedem Schluck
	        
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