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20. März 1909) für die oberen Stufen erscheint mir hier von größter
Wichtigkeit.
Der Unterricht in der Somatologie mit Berücksichtigung der
•wichtigsten Tatsachen der Physiologie und Hygiene, wie ich sie vor vier
Jahren 1 ) in der Gesellschaft für Gesundheitspflege gefordert und wie
sie nun auch in der VI. Klasse im Anschluß an den zoologischen
Unterricht von nun ab zur Durchführung gelangen wird, ist nur mit
Freude zu begrüßen. Freilich wird es davon abhängen, in welcher
Weise und in welchem Ausmaße diesem Ziele von nun ab entsprochen
werden und insbesondere ob der Gegenstand auch schon genügend
vorgebildete Lehrkräfte finden wird. Hier ist, wie ich glaube, auch der
Weg zu finden, auf welchem eine der wichtigsten Erziehungsfragen,
und zwar die der sexuellen Aufklärung, ihre naturgemäße, harmonische
Vorbereitung beziehungsweise auch Erledigung finden könne.
Und gerade diese Frage spielt ja bei der Ausbildung des Nach
wuchses auf allen Gebieten des bürgerlichen Lebens, so auch in der
Kaufmannswelt eine , ganz hervorragende Rolle. Nur eine freiheitliche,
die ungehinderte Entfaltung der natürlichen, körperlichen, und geistigen
Regungen und Triebe und ebenso die rationelle Beseitung der ge
sundheitlichen Hemmnisse, insbesondere das Verständnis für eine,
auch die Ethik im Sexualleben berücksichtigende Erziehungsmethode,
wie sie bereits in mehreren Staaten, wie in Flngland und Amerika und
deren Kolonien, kräftige Wurzeln gefaßt hat und die herrlichsten
Früchte trägt, kann im Verlaufe der folgenden Jahre auch bei uns in
Mitteleuropa aufrichtend und regenerierend auf die Volkskraft und
das Selbstvertrauen und Ansehen unserer Volksstämme wirken. 2 )
Früh vollentwickelte, selbstbewußte, auch allgemein gebildete junge
Männer, mit zielbewußter Lebensauffassung und Selbstvertrauen begabt!
wenn sie in die weite Welt hinausgehen, dann allerdings bedürfen sie,
wie gesagt, speziell im kaufmännischen Berufe neben ihren kommer
ziellen Fachkenntnissen immer noch einer gewissen Summe positiver
Kenntnisse über das Wesen biologischer Prozesse, der Akklimatisation,
gewisser endemischer Infektionserkrankungen und deren Prophylaxe,
also einer Reihe von Dingen, welche ohne einen theoretischen
Unterricht auf diesem Gebiete nicht leicht zu erwerben sind. Reine
Autodidaxis auf diesem Gebiete erscheint mir als nicht genügend,
ja bei der Ausbreitung der hygienischen Disziplin heute kaum mehr
möglich.
In unserer Handelshochschule, der Export-Akademie des Handels
museums in Wien ist dank einem voraussehenden Ermessen des bei
der Gründung tätigen Kuratoriums und über meine spezielle zur Zeit
r j »Die sexuelle Belehrung der Schuljugend«, Österreichische Monatsschrift
für Gesundheitspflege, Wien, bei Perles, 1906, Nr. 1.
-'i Vergleiche darüber auch meine Bemerkungen in »Rückblick und Aus
blick auf die moderne ethisch-sozialliygienischc Reform der sexuellen Frage«.
Vortrag, gehalten am 8. Mai 1909 im akademischen Verein für Sexualhygiene in
Wien. Erscheint in der Deutschen Zeitschrift zur Bekämpfung der Geschlechts
krankheiten im Herbste 1909.