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von den Hochgebirgen Zentralafrikas und Abessyniens herkommend,
mit seinen Wässern die reiche Ackerkrume hinabschwemmend 1 ) — durch
deren millimeterweise Ablagerung — in einem Jahrhundert ca. 10 bis
13 cm - auf dem einst vom Meer überdeckten Sand und Felsen
im Laufe von Jahrtausenden dieses üppig grüne palmenreiche Tal
schuf, über das die Natur — in scharfem Kontrast zu der umgebenden,
anscheinend todesstarren Wüste — die ganze Fülle ihrer schöpferischen
Lebenskraft ausgeschüttet zu haben scheint.
Und ist dieser heilige Strom nicht selbst ein Wunder? Er, dessen
Quellen weit, weitab südlich über den Äquator hinausreichend, in
ewig geheimnisvolles Dunkel gehüllt schienen; der, nach dem Zu
sammenfluß seines Hauptstromes, des den großen Seen mit reinerem
Wasser entquellenden »Weißen Nil« mit dem von den abessini-
schen Bergen herniederstürzenden schlammreichen »Blauen Nil« bei
Khartum, ca. 320 km nördlich nur noch einen Nebenfluß, den
während des Sommers zu einem mächtigen Gebirgsstrom anschwellenden
Atbara in sich aufnimmt, von da an aber, auf die Riesenstrecke von
gegen 3000 km, d. h. auf eine Strecke, die fast der Donau, des größten
Flusses Zentraleuropas, mit 2900 km Länge, gleichkommt, sein Wasser
durch die glühenden, trockenen Wüsten dem Mittelmeer zuführt, ohne
irgend einen weiteren Nebenfluß, ja, ohne auf weite Strecken über
haupt irgend einen Zufluß zu erhalten. Und trotz der immensen Ver
dunstung, der er auf seinem langen Weg ausgesetzt ist, und trotzdem
er inzwischen noch die Äcker Ober- und Mittelägyptens und des
Fayoum durch große Kanäle speist, erscheint der Nil bei Kairo noch
als ein prächtiger, imposanter Fluß (dessen Bett etwas oberhalb noch
600 m breit ist), der auf seinem weiteren Verlauf das ganze Delta
(rund 20.000 Ä%! 2 ) 2 ) bewässert, mit einer Bevölkerung, so dicht wie
die Belgiens (rund 6,700.000 Einwohner 3 ) — 330 auf 1 km' 1 ).
Durch Regen erhält er auch hier keinen irgendwie nennens
werten Zufluß, denn regnen tut es bis in die Nähe der Küste, speziell
im Nordosten, nur in ganz verschwindender Menge (bei Kairo fällt
nur ca. 35 mm, bei Port Said ca. 80 mm und bei Alexandrien zirka
210 mm Regen im Jahr).
Ja, bei weiser Ausnutzung seiner Wasser durch die großartigen
Stauwerke bei den Barrages unterhalb Kairos, bei Assiut, Esneh und
Assuan versorgt der Nil nicht nur immer besser und geregelter
das Land mit seinem befruchtenden Naß, sondern es wird obendrein
') In früheren Zeiten war das Nilbett im Süden bedeutend höher gelegen,
ln Nubien findet man Nilschlamm 35 m über dem heutigen Nilpegel (weiter nörd
lich noch ca. 20 m höher) und finden sich die Gräber der prähistorischen Bewohner
in diesem Schlamm eingegraben. Der Nil grub sich sein Bett allmählich tiefer und
tieler, erodierte sich langsam seinen ‘Weg. durch die Felsen — die Katarakte
bildend — und setzte darauf im Norden seinen Schlamm ab, den Boden, der
früher vom Meer iiberspiilt war, allmählich erhöhend, wodurch sich das nörd
liche Nil-Tal und -Delta bildete.
2 ) Nach Angaben des Survey-Departments.
3 ) Nach dem Zensus von 1907.