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der Wüste schrittweise mehr und mehr Terrain wieder abgewonnen
und unter Kultur genommen.
Aus dem Verlauf des Nil läßt sich ohneweiters darauf schließen,
daß die Quellen des Nil und seiner Zuflüsse ganz gewaltige sein
müssen. In der Tat umfaßt das Gebiet der Nilquellen, über die uns
erst die letzten Dezennien nähere Aufschlüsse brachten, und das seiner
Zuflüsse ganz ungeheure Flächen.
■ Das Quellgebiet des Kagera 1 ), des größten Zuflusses des Victoria-Ny anza
(1125 m ü. ~d. M.), welcher jetzt als der Anfang des Nil betrachtet wird, der
jenseits des Äquators, mit 2 Armen in der Nähe des Kivu- und Taganiki-Sees
von dem ca. 2500 m hohen Plateau entspringend, bis zu seiner Einmündung in
den Victoria-See schon eine Länge von 690 km hat; sowie der anderen Zuflüsse
des Victoria-Nyanza, aus dem der Victoria-Nil bei dem 1861 von Spelte ent
deckten Rippon-Falle abfließt, mit seiner 68.000 Oberfläche der zweitgrößte
Binnensee der Erde (ca. l^mal so groß als die gesamte Schweiz) (der aber
hauptsächlich durch die enormen, auf ihn niedergehenden tropischen Regengüsse
auf seinem Niveau gehalten wird), sodann das Quellengebiet des Eduard- und
Albert-Sees, an denen das Gebirge ca. 5500 m Höhe erreicht, und der Bahr el
Jebel, wie der Nil bei seinem Austritt aus letzterem See heißt; weiterhin des
Nebenflusses, des Bahr Ghazal, der mit zahlreichen Armen von den westlichen
Höhen (bis 1000 m- ii. d. M.-j kommt, welche die Wasserscheide zwischen dem
Kongo und dem Nil bilden, des Bahr Zaraf, der (wie neuerdings Cpt. Lyons
glaubt) sich in dem Überschwemmungs- und. Sumpfgebiet nördlich Gondoltoros
bei Ghaba Shambe am 7° nördl. Breite unter dem Einfluß der großen lokalen
Regenmassen bildet, schließlich des Sobat, der schon von dem abessinischen
Hochplateau (ca. 2000 2500 m hoch) von Osten kommt: das Gebiet all dieser
Seen und Flüsse, aus deren Vereinigung der Weiße Nil hervorgeht, hat zu
sammen die ungeheure Ausdehnung von ca. 1,350.000 km*.
Dazu kommen weiterhin die Quellengebiete des Blauen Nil und des
Atbara auf dem' abessynischen Hochland (ca. 2500 m mit bis ca. 5000 m hohen
Gebirgen, Tsana-See 1755 m) mit ca. 400.000 -500.000 Itm'K Dergestalt ist das
Quellengebiet des vereinigten Nil größer als das gesamte Zentraleuropa.
Aus dem Besprochenen ergibt sich, daß der Nil aus zwei ungefähr gleich
langen, ihrem Charakter nach jedoch völlig verschiedenen Teilen besteht: der
erste, welcher von den großen Seen (bis ca. 34° südl. Breite) in. einer Länge
von über 3000 bis über Khartum hinaus am 15'/« nördl. Breite von allen
Seiten überreiche Zuflüsse (zum Teil direkt durch Regengüsse) erhält und von da,
zu einem großen Strom vereint, in gleichfalls fast ca. 3000 km Länge sich seinen
Weg durch dürre. Felsen und Wüsten bis zum Mittelmeer bahnt, ohne Regen
und ohne Zuflüsse zu erhalten, und das Land, was er auf der Wüste geschaffen
hat, jährlich nicht nur mit einem köstlichen Naß bewässert, sondern ihm noch
immer wieder frische fruchtbare Ackerkrume spendet. Was er weit ab im
Süden vom Himmel und der Mutter Erde empfangen hat, das schenkt er hier
verschwenderisch wieder her. So groß sind die Wassermassen, die er im Süden
aufnahm (bei Berber ist sein Debit gelegentlich auf ca. 128 Millionen Kubikmeter
pro Jahr berechnet), daß er trotz Verdunstung bei Assuan ca. 115 Millionen
Kubikmeter (mit ca. 30 Millionen Kubikmeter ungelösten Schlamms und ca. 20 Mil
lionen Kubikmeter gelöster Massen) und der Wässerung Ober- und Mittelägyptens
und des Fayoum durch flußgroße Kanäle —- bei Kairo noch ein Debit von
ca. 90.000 Millionen Kubikmeter hat!
l ) The Physiography of the River Nile etc. Cpt. H. G. Lyons. D. G. Survey-
Departements, Cairo 1905, dem die meisten Daten über den Nil entnommen sind.
Dies vortreffliche Buch gibt auch einen ausführlichen bibliographischen Index. —
A. Chelu, Le Nil, le Soudan l’Egypte. Paris 1891.