Full text: XIV. Jahrbuch der Export-Akademie des K. K. Österreichischen Handels-Museums (14)

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Es ist keineswegs ein allgemeiner oder auch nur vorherrschender 
Gebrauch, in den Kaufsverträgen für den Fall eines Streites die Kom 
petenz der ordentlichen Gerichte bei gleichzeitiger Bestimmung eines 
Schiedsgerichtes auszuschließcn. 1 ) Man legt überhaupt dem kauf 
männischen Schiedsgerichtswesen geringere Bedeutung bei als 
an den großen nordwesteuropäischen Seehandelsplätzen. Demgemäß 
ist es auch ein Ausnahmefall, daß für den Handel mit Getreide und 
Müllereiprodukten eine ständige Organisation für Schiedsgerichte ge 
schaffen worden ist (siehe Seite 54). ln vielen Lieferungs- (auch 
Import-)Kontrakten sagt man über Streitfälle überhaupt nichts oder 
bedingt nur eine Qualitätsexpertise (eventuell nur für den Fall von 
Havarie) oder setzt nur allgemein fest, daß ein Prozeß in Marseille 
geführt werden müsse. Wohl kommt es nicht selten vor, daß man nach 
Entstehung eines Streitfalles, wenn die Kontrahenten zu keiner Eini 
gung gelangen können, die Entscheidung durch Geschäftsfreunde anruft. 
Aber auch in solchen Fällen bleibt das in Frankreich bestehende 
Recht der Berufung gegen Schiedssprüche an den Appellgerichtshof 
(für Marseille in Aix), das man durch Vertrag aufheben kann, sehr 
häufig aufrecht. Charakteristischerweise hat übrigens die Schieds 
gerichtsorganisation für den Getreidehandel auch eine Berufung an 
eine zweite Schiedsgerichtsinstanz vorgesehen. 
Von den nach der letzteren Organisation eingeführten Schieds 
gerichten (die aus einer, drei oder fünf Personen bestehen) abgesehen, 
pflegt man im Kompromißwege einen Schiedsrichter oder je einen 
durch jeden der beiden Kontrahenten zu wählen. Können sich die nach 
der letzten Art gewählten zwei Schiedsrichter nicht einigen, so wird 
ihnen gewöhnlich das Recht gegeben, einen dritten zu nominieren, 
dessen Urteil aber nicht wie das des englischen umpire für sich allein 
entscheidend ist, sondern der sich — übrigens auch nach gesetzlicher 
Bestimmung -— an einen der beiden Schiedssprüche anzuschließen 
und auf diese Weise ein Mehrheitsurteil herbeizuführen hat. 
Ohne Schiedsgerichtsvertrag ist für Streitigkeiten aus Handels 
geschäften zwischen Kaufleuten in erster Instanz das Tribunal 
de Commerce (Handelsgericht) kompetent, das durch die Art 
seiner Zusammensetzung (Kaufleute gewählt durch Kaufleute) das 
kaufmännische Schiedsgericht bis zu einem gewissen Grade zu ersetzen 
geeignet ist. Zu großem Teil dürfte wohl hierin die Ursache der ge 
ringeren Bedeutung, die das kaufmännische Schiedsgerichtswesen in 
Marseille besitzt, zu suchen sein. 
Im Seeversicherungsgeschäfte pflegt man in Marseille, die 
folgenden Polizzen zu verwenden: 
1. Zur Versicherung von Waren 
a) die „Police d’Assurance Maritime vom 24. März 1866”, 
die heute nur mehr in vereinzelten Fällen bei Segelschiff-Transporten 
in Gebrauch genommen wird; 
i) In Getreidekontrakten ist häufig die Klage bei einem Schiedsgerichte 
oder beim Handelsgerichte zur Wahl gestellt.
	        
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