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Worten: das Gutachten der Sachverständigen kann aus materiell
rechtlichen Gründen angefochten werden.
Nachdem die Versicherungsvertragsbestimmungen verlangen,
daß die zur Schadenschätzung berufenen Gutachter Sachver
ständige seien, und daß ihnen keine der Gründe entgegenstehen,
welche nach § 19 und §20 der Jurisdiktionsnorm zur Ablehnung
eines Richters berechtigen, so kann also der von einer Partei
erwählte Schätzmeister wegen offenbarer Sachunkenntnis oder
wegen Befangenheit, z. B. wegen dienstlicher Abhängigkeit oder
wegen Verwandtschaft von der Gegenseite abgelehnt werden.
In der Ablehnung des Sachverständigen der Gegenseite dürfen
jedoch weder Versicherer noch Versicherter zu weit gehen. Der
Versicherer kann keinen Einspruch dagegen erheben, daß der
Versicherte einen seiner Lieferanten oder Warengläubiger zum
Sachverständigen bestelle. Ebenso wenig kann der Versicherte
einen Sachverständigen etwa deshalb ablehnen, weil er dem Ver
sicherer berufsmäßig Sachverständigendienste leistet, wie dies bei
Gebäude- und Maschinenexperten öfters der Fall ist, oder des
halb, weil der betreffende Sachverständige sein Konkurrent ist,
obwohl der Versicherer natürlich, wo es irgend angeht, ein solches
Zusammentreffen vermeiden wird.
Man wirft den Versicherern oft vor, daß sie erprobte Ge
bäude- und Maschinenexperten ständig für ihre Schadenschätzungen
verwenden und sich dadurch ein gewisses Übergewicht über den
Versicherten verschaffen, welcher gewöhnlich gezwungen sei, sich
aufs Geradewohl einen Experten zu wählen, dessen fachliche
Eignung er gar nicht zu beurteilen verstehe. Dagegen ist folgendes
zu bemerken. Wenn wirklich einmal der Experte des Versicherten
über die notwendige Befähigung nicht verfügt, so äußert sich
dieser Mangel gewöhnlich nicht nach der Richtung, daß er für
den Versicherten zu wenig fordert, sondern ganz im Gegenteil
nach der Richtung des Zuvielforderns, und dies sind für den
Versicherer die unangenehmsten P’älle, weil sich Unverstand be
kanntlich nicht überzeugen läßt. Man sollte doch bedenken, daß
für eine Assekuranzschätzung — und ich glaube das in meinem
zweiten Vortrage einigermaßen klar gemacht zu haben — ganz
andere Gesichtspunkte maßgebend sind, als für jede andere
Schätzung. Wer beobachtet, wie viel die Assekuranzen bei
Schätzungen, zu welchen sie über berufsmäßige Experten nicht
verfügen, d. i. bei Schätzungen von Waren- und Vorratsschäden,
alljährlich über die wahren Schadenbeträge hinaus bezahlen, weil
die Experten sich dem Versicherten gegenüber durch einen ge
wissen esprit de corps beeinflussen lassen oder weil sie wohl
allgemeine Branchekenntnisse besitzen, aber in den diffizilen
Spezialfragen nicht bewandert sind, welche gerade für die Be
urteilung des betreffenden Betriebes maßgebend erscheinen, der
wird in der Sachverständigenfrage zu einem ganz anderen Urteile
gelangen.