Full text: XV. Jahrbuch der Export-Akademie des K. K. Österreichischen Handels-Museums (15)

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Im ersten Beispiel sprach ich von Regeln. 
Viel Regeln zu geben, ist von Schaden. Sie hemmen 
die Freiheit der Entscheidung und der Entschließung. Sie wollen 
das Denken durch das Gedächtnis ersetzen. Wir sollen aber das 
Gedächtnis mehr als Stütze des Denkens benutzen. 
Regeln soll der Schüler befolgen, ohne sie auswendig gelernt 
zu haben; die beste Regel ist der Verstand. 
Leider ist die Mehrzahl der Schüler nur in geringerem 
Grade fähig, mit Verstand zu arbeiten. Dadurch werden wir in der 
Lehrpraxis nur zu oft in die Defensive gedrängt und müssen mit 
uns selber paktieren, nachgeben, naehlassen und gegen das pädago 
gische Gewissen handeln, weil die Schüler keine Idealschüler sind. 
Trotzdem dürfen wir das Ideal des Unterrichtes nie ver 
gessen! Sonst machen wir das Kompromiß mit den Hindernissen 
der Praxis zu unserem Idol, statt es als den Erbfeind zu be 
kämpfen. Wir müssen wissen, daß das Ideal unerreichbar ist, aber 
wir müssen immer darnach streben. 
Und das Ideal ist der Unterricht, der auf denkendem Ver 
stände der Schüler fußt, nicht jener, der sich mit dem Surrogat 
des Auswendiglernens abfindet. 
Es ist eine alte Meinung, die Schule als ein Institut zu be 
trachten, das Kenntnisse vermittelt. 
Ich wage zu behaupten, daß diese Ansicht, wenn nicht falsch, 
zumindest engherzig ist. 
Die vornehmste Aufgabe der Schule ist es nicht, Kenntnisse 
zu vermitteln, sondern Fähigkeiten auszubilden. Insbesondere 
die Handelsschule sollte sich von der Idee so weit als möglich 
loslösen, daß sie nur Kenntnisse zu geben habe. Sie sollte drei 
Hauptziele verfolgen: 
1. Kenntnisse zu geben (materiale Bildung), 
2. das Denken zu üben (formale Bildung), 
3. ein fernes, heute noch kaum ins Auge gefaßtes Ziel: 
Die Entschlußfähigkeit zu entwickeln. 
Am leichtesten zu erfüllen ist die erste Forderung. Deshalb 
ist ihre Methode am weitesten ausgebildet und die meisten Schulen 
widmen sich fast ausschließlich der Vermittlung von Kenntnissen 1 ), 
indem nebenbei durch die Art der Vermittlung auf die Denk 
fähigkeit eingewirkt wird. 
Es gibt heute keine Methode, die unmittelbar das Ziel ver 
folgte, eine Schule des Denkens zu sein. Mangels einer Methode 
muß der Intuition des Lehrers fast alles, was sich zu diesem 
Ziele tun läßt, überlassen bleiben. Wie man dem Künstler nicht 
sagen kann, wie er eine Linie zu führen, eine Farbe zu wählen, 
i) Ausnehmen möchte ich beispielsweise: Militärsehulen und geistliche 
Schulen, die mit Erfolg den Charakter beeinflussen und alle Kunstschulen, die 
das beste Beispiel bieten, wie sehr Fähigkeiten entwickelt werden können.
	        
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