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Im ersten Beispiel sprach ich von Regeln.
Viel Regeln zu geben, ist von Schaden. Sie hemmen
die Freiheit der Entscheidung und der Entschließung. Sie wollen
das Denken durch das Gedächtnis ersetzen. Wir sollen aber das
Gedächtnis mehr als Stütze des Denkens benutzen.
Regeln soll der Schüler befolgen, ohne sie auswendig gelernt
zu haben; die beste Regel ist der Verstand.
Leider ist die Mehrzahl der Schüler nur in geringerem
Grade fähig, mit Verstand zu arbeiten. Dadurch werden wir in der
Lehrpraxis nur zu oft in die Defensive gedrängt und müssen mit
uns selber paktieren, nachgeben, naehlassen und gegen das pädago
gische Gewissen handeln, weil die Schüler keine Idealschüler sind.
Trotzdem dürfen wir das Ideal des Unterrichtes nie ver
gessen! Sonst machen wir das Kompromiß mit den Hindernissen
der Praxis zu unserem Idol, statt es als den Erbfeind zu be
kämpfen. Wir müssen wissen, daß das Ideal unerreichbar ist, aber
wir müssen immer darnach streben.
Und das Ideal ist der Unterricht, der auf denkendem Ver
stände der Schüler fußt, nicht jener, der sich mit dem Surrogat
des Auswendiglernens abfindet.
Es ist eine alte Meinung, die Schule als ein Institut zu be
trachten, das Kenntnisse vermittelt.
Ich wage zu behaupten, daß diese Ansicht, wenn nicht falsch,
zumindest engherzig ist.
Die vornehmste Aufgabe der Schule ist es nicht, Kenntnisse
zu vermitteln, sondern Fähigkeiten auszubilden. Insbesondere
die Handelsschule sollte sich von der Idee so weit als möglich
loslösen, daß sie nur Kenntnisse zu geben habe. Sie sollte drei
Hauptziele verfolgen:
1. Kenntnisse zu geben (materiale Bildung),
2. das Denken zu üben (formale Bildung),
3. ein fernes, heute noch kaum ins Auge gefaßtes Ziel:
Die Entschlußfähigkeit zu entwickeln.
Am leichtesten zu erfüllen ist die erste Forderung. Deshalb
ist ihre Methode am weitesten ausgebildet und die meisten Schulen
widmen sich fast ausschließlich der Vermittlung von Kenntnissen 1 ),
indem nebenbei durch die Art der Vermittlung auf die Denk
fähigkeit eingewirkt wird.
Es gibt heute keine Methode, die unmittelbar das Ziel ver
folgte, eine Schule des Denkens zu sein. Mangels einer Methode
muß der Intuition des Lehrers fast alles, was sich zu diesem
Ziele tun läßt, überlassen bleiben. Wie man dem Künstler nicht
sagen kann, wie er eine Linie zu führen, eine Farbe zu wählen,
i) Ausnehmen möchte ich beispielsweise: Militärsehulen und geistliche
Schulen, die mit Erfolg den Charakter beeinflussen und alle Kunstschulen, die
das beste Beispiel bieten, wie sehr Fähigkeiten entwickelt werden können.