7
Geist auf den meisten kulturellen Gebieten die Herrschaft un-
geschwächt weitergeführt.
Nach Untergang des römischen Reiches blieben gewisse
Faktoren die hauptsächlichsten Träger der Kultur: die römische
Literatur, das römische Recht und die römische Kirche.
Kein Wunder, wenn die Spuren einer solchen Sprache und
einer solchen Kultur, der wir so viel zu verdanken haben, noch
heute leben und als mächtige Kraft fortwirken.
Es kann freilich nicht geleugnet werden, daß die Verehrung
des klassischen Altertums gar oft eine sonderbare Gestalt annimmt.
So wurde nicht mit Unrecht, und selbst von Kennern und Ver
ehrern der klassischen Sprachen, die Frage aufgeworfen, ob denn
die Lateiner ihre öffentlichen Gebäude mit griechischen, die Griechen
etwa mit ägyptischen Inschriften versehen hätten. Wir jedoch,
die wir jene Völker so gerne zum Vorbild wählen, setzen merk
würdigerweise einen gewissen Stolz darein, nicht nur Schulen und
Universitäten, sondern auch Kliniken, Findelhäuser und andere An
stalten mit lateinischen Inschriften auszustatten und scheinen an
diesen und ähnlichen Anachronismen Gefallen zu finden.
Das Rad der Zeit rollt unaufhaltsam vorwärts. Heutzutage
wird freilich nicht selten und häufig sehr vernehmlich die Be
hauptung aufgestellt, daß es wohl von größerer Bedeutung wäre,
beispielsweise die Funktionen der Venen und Arterien, den genauen
Vorgang der Verdauung und andere der uns umgebenden Wirklich
keit ungehörige Phänomene zu verstehen, als mit der Topographie
der homerischen Unterwelt, mit den Funktionen der drei Parzen
oder mit anderen mythologischen und archäologischen Einzelheiten
das Gedächtnis zu beschweren.
Es läßt sich nicht leugnen, die Bedeutungssphäre der beiden
klassischen Schwestern nimmt zusehends ab. Sie werden aus den
Lehrplänen verschwinden und nur als Fachstudien betrieben
werden. Es wird eine Zeit kommen, da man für diese edelsten
Sprachen keine Zeit mehr finden wird.
Der Amerikanismus erobert die Welt.
Der tiefere Kenner menschlicher Verhältnisse wird wohl ahnen,
auf welch abschüssige Bahn diese modernste Richtung führen muß,
falls es ihr tatsächlich geläuge, wiederum das Nützlichkeitsprinzip
zum obersten Gesetz zu erheben.
Die neuen Menschheitsbeglücker übersehen vollständig, daß
ohne die ewigen Ideale, deren höchster Gipfel eine geläuterte
Ethik sein muß, keine menschliche Glückseligkeit bestehen kann.
Wie schon so häufig, wird wohl auch diesmal die Zeit selbst die
Heilung bringen und die alte Fabel des habsüchtigen Pbrygier-
könio-s wird wieder zur Wahrheit werden.
°Wie die Verhältnisse heute liegen, wird es uns keineswegs
überraschen, wenn man in der nächsten Zukunft auf Japan hin-
weisen wird, das ohne Griechisch und Latein unheimlich rasch
eine seltene Höhe erklommen hat.