Full text: 19. Jahrbuch der K. K. Exportakademie (19)

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Geist auf den meisten kulturellen Gebieten die Herrschaft un- 
geschwächt weitergeführt. 
Nach Untergang des römischen Reiches blieben gewisse 
Faktoren die hauptsächlichsten Träger der Kultur: die römische 
Literatur, das römische Recht und die römische Kirche. 
Kein Wunder, wenn die Spuren einer solchen Sprache und 
einer solchen Kultur, der wir so viel zu verdanken haben, noch 
heute leben und als mächtige Kraft fortwirken. 
Es kann freilich nicht geleugnet werden, daß die Verehrung 
des klassischen Altertums gar oft eine sonderbare Gestalt annimmt. 
So wurde nicht mit Unrecht, und selbst von Kennern und Ver 
ehrern der klassischen Sprachen, die Frage aufgeworfen, ob denn 
die Lateiner ihre öffentlichen Gebäude mit griechischen, die Griechen 
etwa mit ägyptischen Inschriften versehen hätten. Wir jedoch, 
die wir jene Völker so gerne zum Vorbild wählen, setzen merk 
würdigerweise einen gewissen Stolz darein, nicht nur Schulen und 
Universitäten, sondern auch Kliniken, Findelhäuser und andere An 
stalten mit lateinischen Inschriften auszustatten und scheinen an 
diesen und ähnlichen Anachronismen Gefallen zu finden. 
Das Rad der Zeit rollt unaufhaltsam vorwärts. Heutzutage 
wird freilich nicht selten und häufig sehr vernehmlich die Be 
hauptung aufgestellt, daß es wohl von größerer Bedeutung wäre, 
beispielsweise die Funktionen der Venen und Arterien, den genauen 
Vorgang der Verdauung und andere der uns umgebenden Wirklich 
keit ungehörige Phänomene zu verstehen, als mit der Topographie 
der homerischen Unterwelt, mit den Funktionen der drei Parzen 
oder mit anderen mythologischen und archäologischen Einzelheiten 
das Gedächtnis zu beschweren. 
Es läßt sich nicht leugnen, die Bedeutungssphäre der beiden 
klassischen Schwestern nimmt zusehends ab. Sie werden aus den 
Lehrplänen verschwinden und nur als Fachstudien betrieben 
werden. Es wird eine Zeit kommen, da man für diese edelsten 
Sprachen keine Zeit mehr finden wird. 
Der Amerikanismus erobert die Welt. 
Der tiefere Kenner menschlicher Verhältnisse wird wohl ahnen, 
auf welch abschüssige Bahn diese modernste Richtung führen muß, 
falls es ihr tatsächlich geläuge, wiederum das Nützlichkeitsprinzip 
zum obersten Gesetz zu erheben. 
Die neuen Menschheitsbeglücker übersehen vollständig, daß 
ohne die ewigen Ideale, deren höchster Gipfel eine geläuterte 
Ethik sein muß, keine menschliche Glückseligkeit bestehen kann. 
Wie schon so häufig, wird wohl auch diesmal die Zeit selbst die 
Heilung bringen und die alte Fabel des habsüchtigen Pbrygier- 
könio-s wird wieder zur Wahrheit werden. 
°Wie die Verhältnisse heute liegen, wird es uns keineswegs 
überraschen, wenn man in der nächsten Zukunft auf Japan hin- 
weisen wird, das ohne Griechisch und Latein unheimlich rasch 
eine seltene Höhe erklommen hat.
	        
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