Full text: 19. Jahrbuch der K. K. Exportakademie (19)

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Der allzu übereilte Fortschritt hat sogar dort schon Univer 
sitäten für Frauen ins Leben gerufen! 
Nebenher bemerkt ist es nicht ganz unwahrscheinlich, daß 
auch China von dem fabelhaft raschen Aufstieg des gefährlichen 
Nachbars geblendet, sich ebenfalls aufrafft, sich mit dem charakte 
ristischen Merkmal moderner Kultur— mit Kruppschen oder selbst- 
ei*zeugten Kanonen — versieht und nach Jahrhunderten derLetargie 
in die Weltarena herabsteigt. 
Die Lehre von den absterbenden Rassen und Nationen scheint 
keineswegs ein ganz unumstößliches Axiom zu sein. 
Doch kehren w T ir nach dieser kleinen Abschweifung wieder 
zu den beiden so erlesenen Völkern, den Griechen und Römern 
zurück. 
Merkwürdigerweise waren beide der Industrie sowohl, wie 
auch allem praktischen Fortschritt überhaupt in höchstem Grade 
abhold, oft geradezu feindselig. 
Auf Schritt und Tritt gelangt diese Abneigung allem Nütz 
lichen gegenüber zum Ausdruck. 
Sokrates konnte es beispielsweise nicht begreifen, wie man 
auch nur daran denken konnte, sein Wissen praktisch zu verwerten. 
Er übergoß, wenn wir seinem größten Schüler Glauben schenken 
dürfen, diejenigen mit seinem Spott, die auch nur davon sprechen, 
die Astronomie dazu zu benützen, um der Schiffahrt mehr Sicher 
heit zu verleihen. — Plato spricht mit Bedauern von der Einführung 
des Alphabets und der Schriftzeichen. —- Wahrscheinlich würde 
er, wenn er plötzlich unter uns auftauchen könnte, ebenso ver 
ächtlich über die Einführung des Konversations-Lexikons sowie 
anderer Wörterbücher und Hilfswerke urteilen. 
Mit der Mathematik, sagt er, beschäftigen wir uns nicht um 
des Kaufes und Verkaufes willen, wie es Handelsleute und Krämer 
tun, sondern um des Krieges willen und darum, daß unsere Seele 
eine Erleichterung finde. Ja, dieser tiefe Denker geht soweit, den 
Krämerhandel als ein Verbrechen anzusehen. 
Aber auch der nüchterne Aristoteles trägt ähnliche Gedanken 
zur Schau. So findet er es unstatthaft, daß in einem gut geleiteten 
Staate ein freier Bürger ein Handwerk betreiben solle. 
In der Rede für den Kranz, die wir noch heute mit Schauern 
der Bewunderung lesen, spricht Demosthenes zwar flüchtig vom 
Handel Athens, den Philipp schädige; aber hauptsächlich wird es 
sich um die .nötige Kornzufuhr für die stark bevölkerte Stadt ge 
handelt haben. Im wesentlichen wird auch dieser unvergleichliche 
Geist über Handel und Industrie dieselben Anschauungen gehegt 
haben wie seino großen Zeitgenossen. 
Es wird uns auch keineswegs überraschen, wenn wir ähnliche 
Ideen bei den Römern finden. Seneca beispielsweise tadelt die von 
einem Zeitgenossen Cäsars geäußerte Anschauung, daß die Ein 
führung und Bearbeitung der Metalle der Monscbheit großen Nutzen 
gebracht habe.
	        
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