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Gewiß erzeugt die tiefstehende Negerhorde ihre armselige
Sprache; aber sie erzeugt sie spontan und ihrem geistigen Niveau
entsprechend. Nach jahrhundertelangen, nach jahrtausendelangen
unkontrollierbaren Geburtswehen tritt dies Sprachgebilde zutage,
und zwar nicht als etwas Starres, sondern als ein organischer
der Weiterbildung fähiger Körper.
Wir dürfen nicht übersehen, daß der Hauptcharakter einer jeden
Sprache ihre Fortentwicklung, ihre stete Veränderlichkeit ist.
Wenn wir annehmen, daß eine künstliche Spi’aehe den aus
schließlichen Rang einer allgemeinen Verständigungssprache ein
nimmt, wird es ihr möglich sein, das Privilegium zu besitzen, als
einzige, unveränderlich fortzubestehen und auf dem ganzen Erd
ball in allen Beziehungen, die bei einer Sprache zu erwägen sind
(Aussprache, Formen, Gedankenausdruck etc.) identisch weiter
zuleben?
Wenn wir ein fest abgerundetes Sprachgebiet ins Auge fassen,
können wir uns der Wahrnehmung kaum verschließen, daß eine
jede Provinz, eine jede Stadt, jeder Weiler, jedes Gehöft, ja jedes
Individuum seine Spracheigentümlichkeiten besitzt.
Man denke nur an die historisch berühmten Mißverständ
nisse, die durch falsche Aussprache oder falsche Auffassung her
beigeführt worden sind. So wird in den Richtern XII 5, 6 erzählt,
daß Jephtha an der falschen Aussprache des Wortes Sehibboleth
die Ephraimiter erkannte und ihrem unseligen Schicksal zuführte.
Livius XXII, 13 berichtet, daß Hannibals Wegweiser Casilinum
für Casinum verstanden hatte. Er wurde ans Kreuz geschlagen,
da eine derartige Verwechslung von Örtlichkeiten den Puniern
verhängnisvoll hätte werden können.
Bekannt ist auch das während der sizilianischen Vesper ge
brauchte Erkennungswort „Ciceri”, dessen schlechte Aussprache
vielen tausend Franzosen das Leben kostete.
Auch in der zweiten Sure des Koran finden sich derartige
Mißverständnisse.
Selbst das bekannte, allerdings wenig naiv homerische Wort
spiel, mit dem Namen des Odysseus (’Odvaöevg — Oöug), kann
hier erwähnt werden. (Od. IX, 366.) Es ist überflüssig noch weitere
Beispiele hier anzuführen, da derartige Mißverständnisse, die die
Wandelbarkeit, Vielgestaltigkeit und Vieldeutigkeit einer Sprache
hervorrufen, schon aus dem gewöhnlichen Alltagsleben einem
jeden zur Genüge bekannt sind. —- Wie viele Quiproquos ergeben
sieh beim Gebrauch einer fremden Spiache!
Wie viele ungeahnte Irrtümer und Unklarheiten müßten
notgedrungen bei Anwendung einer künstlichen, wortarmen Sprache
zutage treten!
Man hätte vermuten können, daß Brugmann und Leskien
in ihrer vortrefflichen Studie „Zur Kritik der künstlichen Welt
sprache” bereits das letzte Wort in dieser Angelegenheit gesprochen
haben. Dies ist jedoch keineswegs der Fall. Es erheben sich stets
neue Apostel, die ihrer Idee zum Siege verhelfen wollen.