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Niemand wird leugnen, daß dem Gedanken der Schaffung
einer künstlichen Verständigungssprache ein zweifellos philan
thropisches Motiv zugrunde liege. Ein solches Streben ist alles
Lobes würdig.
Freilich scheinen die Fürsprecher die merkwürdige biblische
Fabel vom babylonischen Turmbau zu vergessen, wonach es der
Wille der Vorsehung war, die Sprache der Turmbauer zu spalten, so
daß sie sich nicht verständigen konnten und auseinandergingen.
In Wahrheit wird kein noch so subtil ersonnenes Mixtum
compositum einer Universalsprache den fast tausendköpfigen Sprach-
JtÖrper als Aushilfs- und Verständigungssprache, vertreten können.
Mit kleinen, mit künstlichen, mit unnatürlichen Mitteln wird
nie etwas Großes erzielt werden. Der natürliche Verlauf der Er
eignisse wird, wenn es die Notwendigkeit gebieterisch erheischen
wird, in die verworrenen Sprachverhältnisse Ordnung bringen.
Wenn wir einen Blick auf die vergangenen Zeiten werfen,
werden wir wahrnehmen, wie einzelne Sprachen sich allmählich
in de® Führung und Vorherrschaft ablösten.
Um 1500 vor Christi Geburt hatte die assyrische Sprache
eine ungeheure Bedeutung. Sie war eine Art Diplomatensprache.
Später ging die Herrschaft auf das Griechische und Latein
über. Diesen wiederum folgte im 8. Jahrhundert das Arabische als
•eine Art Weltsprache. Die lateinische Sprache blieb freilich als
Kirchensprache und als Sprache der Gelehrten tonangebend.
Nach der langen Nacht des Mittelalters erhoben sich zunächst
•die romanischen Sprachen. Die italienischen Republiken besaßen
damals eine nie geahnte Machtfülle; die Portugiesen und Spanier
pflanzten ihre Banner über dem Ozean auf. Im 17. Jahrhundert
gewann die französische Sprache die Oberhand und verbreitete
sich mit staunenswerter Raschheit. Noch heute sonnt sie sieh in
ihrem alten Glanze, wenn auch die englische Sprache ihr längst
den Rang im Weltverkehr abgelairfen hat. Die nächste Zukunft
wird allem Anscheine nach der Vorherrschaft der germanischen
Sprachen gehören, und, wenn die Zeichen der Zeit nicht trügen,
wird auch für sie im östlichen Nachbar ein Rivale von kolossalem
Umfange und unbezähmbarer Lebenskraft erstehen.
Gewisse Propheten gehen auch noch weiter und sehen in
einer fernen Zukunft Europa von den Mongolen überschwemmt.
Sollten dann auch asiatische Idiome das Zepter der Sprachherr-
schaft an sieh reißen?
Es darf freilich nicht übersehen werden, daß häufig die
Sprache, die einen hohen Grad der Ausbildung erreicht hat, sich
der tiefer stehenden gegenüber, selbst wenn es die Sprache des
Überwinders ist, behauptet und weiterlebt. Wie hätten sonst die
Abkömmlinge des Latein und ganz besonders das Rumänische
auf dem Balkan ihr Dasein fortfristen können?
Höchst merkwürdig ist die Entstehung des Englischen. Der
normannische Eroberer, unstreitig höher kultiviert und im Besitze