Full text: 19. Jahrbuch der K. K. Exportakademie (19)

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Niemand wird leugnen, daß dem Gedanken der Schaffung 
einer künstlichen Verständigungssprache ein zweifellos philan 
thropisches Motiv zugrunde liege. Ein solches Streben ist alles 
Lobes würdig. 
Freilich scheinen die Fürsprecher die merkwürdige biblische 
Fabel vom babylonischen Turmbau zu vergessen, wonach es der 
Wille der Vorsehung war, die Sprache der Turmbauer zu spalten, so 
daß sie sich nicht verständigen konnten und auseinandergingen. 
In Wahrheit wird kein noch so subtil ersonnenes Mixtum 
compositum einer Universalsprache den fast tausendköpfigen Sprach- 
JtÖrper als Aushilfs- und Verständigungssprache, vertreten können. 
Mit kleinen, mit künstlichen, mit unnatürlichen Mitteln wird 
nie etwas Großes erzielt werden. Der natürliche Verlauf der Er 
eignisse wird, wenn es die Notwendigkeit gebieterisch erheischen 
wird, in die verworrenen Sprachverhältnisse Ordnung bringen. 
Wenn wir einen Blick auf die vergangenen Zeiten werfen, 
werden wir wahrnehmen, wie einzelne Sprachen sich allmählich 
in de® Führung und Vorherrschaft ablösten. 
Um 1500 vor Christi Geburt hatte die assyrische Sprache 
eine ungeheure Bedeutung. Sie war eine Art Diplomatensprache. 
Später ging die Herrschaft auf das Griechische und Latein 
über. Diesen wiederum folgte im 8. Jahrhundert das Arabische als 
•eine Art Weltsprache. Die lateinische Sprache blieb freilich als 
Kirchensprache und als Sprache der Gelehrten tonangebend. 
Nach der langen Nacht des Mittelalters erhoben sich zunächst 
•die romanischen Sprachen. Die italienischen Republiken besaßen 
damals eine nie geahnte Machtfülle; die Portugiesen und Spanier 
pflanzten ihre Banner über dem Ozean auf. Im 17. Jahrhundert 
gewann die französische Sprache die Oberhand und verbreitete 
sich mit staunenswerter Raschheit. Noch heute sonnt sie sieh in 
ihrem alten Glanze, wenn auch die englische Sprache ihr längst 
den Rang im Weltverkehr abgelairfen hat. Die nächste Zukunft 
wird allem Anscheine nach der Vorherrschaft der germanischen 
Sprachen gehören, und, wenn die Zeichen der Zeit nicht trügen, 
wird auch für sie im östlichen Nachbar ein Rivale von kolossalem 
Umfange und unbezähmbarer Lebenskraft erstehen. 
Gewisse Propheten gehen auch noch weiter und sehen in 
einer fernen Zukunft Europa von den Mongolen überschwemmt. 
Sollten dann auch asiatische Idiome das Zepter der Sprachherr- 
schaft an sieh reißen? 
Es darf freilich nicht übersehen werden, daß häufig die 
Sprache, die einen hohen Grad der Ausbildung erreicht hat, sich 
der tiefer stehenden gegenüber, selbst wenn es die Sprache des 
Überwinders ist, behauptet und weiterlebt. Wie hätten sonst die 
Abkömmlinge des Latein und ganz besonders das Rumänische 
auf dem Balkan ihr Dasein fortfristen können? 
Höchst merkwürdig ist die Entstehung des Englischen. Der 
normannische Eroberer, unstreitig höher kultiviert und im Besitze
	        
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