Full text: 22. Jahrbuch der Hochschule für Welthandel (22)

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Versammlung eine Volksrepräsentation im materiellen Sinne ist, 
ob es darum eine materielle, nickt bloß eine formelle Volks 
regierung ist, welche beschließt und verkündet, darüber ist mit 
der Betonung der Gesetzmäßigkeit der Wahlen, Beschlüsse und 
Verkündungen noch gar nichts ausgesagt. Denn nicht jene ist 
eine Volksregierung, die das Gesetz als eine solche bezeichnet. 
Kein Gesetz vermag eine Regierung zur Volksregierung, eine 
Verfassung zur demokratischen machen. Wäre dem anders, so 
wären auch der Wohlfahrtsausschuß und Napoleon III. Volks 
regierungen, demokratische Regierungen gewesen. Der letztere 
konnte sich ja sogar auf ein überwältigendes Ergebnis einer Volks 
abstimmung berufen. 
Als demokratische Verfassung pflegt man jene zu bezeichnen, 
die jedermann im Staate die gleiche Möglichkeit zur Anteilnahme 
an den Staatsgeschäften gewährt. Verfassungen solcher Art gab 
es bekanntlich schon im Altertum, wenn auch mit der damals 
selbstverständlichen Beschränkung auf die volljährigen männlichen 
Bürger. Es folgten Jahrhunderte mit anderen Bildungen der Re 
gierungen. Dann aber geht etwa zur Aufklärungszeit und der 
großen französischen Revolution die Entwicklung sichtlich auf eine 
Demokratisierung der Staatsverwaltungen hinaus. Es bildeten sich 
auch auf dem europäischen Kontinente Volksvertretungen und zwar 
in der Regel nach dem Zweikammersystem. Die sogenannte zweite 
Kammer, das Abgeordnetenhaus, war dabei in den germanischen 
Staaten gewöhnlich durch Wahl nach dem Systeme der histori 
schen Interessenvertretung (Großgrundbesitz, Geistlichkeit, 
Bürger, Bauern), in den romanischen Staaten nach jener des Zen 
sus (nach Besitz oder sonstigem Vermögen) zusammengesetzt 
Beide Systeme vermischten sich dann nach und nach miteinander, 
schwächten sieh und schwächten einander ab und gingen, lang 
sam und bedächtig, dem Grundsätze der Gleichheit aller Menschen 
nachgehend, zu jenem des allgemeinen und gleichen Wahlrechtes 
über. Dieses System ist nun durch die Gleichstellung der Ge 
schlechter und durch die Herabsetzung des Wahlrechtes auf das 
vollendete 20. Lebensjahr soweit ausgedehnt, daß es zwar kein 
allgemeines ist (man denke an staatsfremde Staatseinwohner und 
an Personen unter 20 Jahren), daß es aber doch kaum mehr einer 
Erweiterung bedeutsamer Art zugänglich sein dürfte. 
Und gerade darum, weil die Demokratisierung anscheinend 
soweit gediehen ist, drängen sich dem Betrachter Bedenken bin-
	        
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