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Versammlung eine Volksrepräsentation im materiellen Sinne ist,
ob es darum eine materielle, nickt bloß eine formelle Volks
regierung ist, welche beschließt und verkündet, darüber ist mit
der Betonung der Gesetzmäßigkeit der Wahlen, Beschlüsse und
Verkündungen noch gar nichts ausgesagt. Denn nicht jene ist
eine Volksregierung, die das Gesetz als eine solche bezeichnet.
Kein Gesetz vermag eine Regierung zur Volksregierung, eine
Verfassung zur demokratischen machen. Wäre dem anders, so
wären auch der Wohlfahrtsausschuß und Napoleon III. Volks
regierungen, demokratische Regierungen gewesen. Der letztere
konnte sich ja sogar auf ein überwältigendes Ergebnis einer Volks
abstimmung berufen.
Als demokratische Verfassung pflegt man jene zu bezeichnen,
die jedermann im Staate die gleiche Möglichkeit zur Anteilnahme
an den Staatsgeschäften gewährt. Verfassungen solcher Art gab
es bekanntlich schon im Altertum, wenn auch mit der damals
selbstverständlichen Beschränkung auf die volljährigen männlichen
Bürger. Es folgten Jahrhunderte mit anderen Bildungen der Re
gierungen. Dann aber geht etwa zur Aufklärungszeit und der
großen französischen Revolution die Entwicklung sichtlich auf eine
Demokratisierung der Staatsverwaltungen hinaus. Es bildeten sich
auch auf dem europäischen Kontinente Volksvertretungen und zwar
in der Regel nach dem Zweikammersystem. Die sogenannte zweite
Kammer, das Abgeordnetenhaus, war dabei in den germanischen
Staaten gewöhnlich durch Wahl nach dem Systeme der histori
schen Interessenvertretung (Großgrundbesitz, Geistlichkeit,
Bürger, Bauern), in den romanischen Staaten nach jener des Zen
sus (nach Besitz oder sonstigem Vermögen) zusammengesetzt
Beide Systeme vermischten sich dann nach und nach miteinander,
schwächten sieh und schwächten einander ab und gingen, lang
sam und bedächtig, dem Grundsätze der Gleichheit aller Menschen
nachgehend, zu jenem des allgemeinen und gleichen Wahlrechtes
über. Dieses System ist nun durch die Gleichstellung der Ge
schlechter und durch die Herabsetzung des Wahlrechtes auf das
vollendete 20. Lebensjahr soweit ausgedehnt, daß es zwar kein
allgemeines ist (man denke an staatsfremde Staatseinwohner und
an Personen unter 20 Jahren), daß es aber doch kaum mehr einer
Erweiterung bedeutsamer Art zugänglich sein dürfte.
Und gerade darum, weil die Demokratisierung anscheinend
soweit gediehen ist, drängen sich dem Betrachter Bedenken bin-