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ohne einen Einfluß auf die Beschlüsse der Generalversammlungen,
ihnen unterworfen sind; hier zeigt sich also eine Bindung an die
unbeeinflußbaren Beschlüsse anderer. Immerhin handelt es sich
da um Nebenerscheinungen. In der Hauptsache kann man doch
sagen, daß auf dem Gebiete des privatrechtlichen Gesellschafts
rechtes niemand einem Beschluß unterworfen ist, der nicht bei
seinem Entstehen mit Rat und Stimme mitwirken konnte, sei es
für, sei es gegen ihn.
Ganz anders ist es bei den Beschlüssen der Volksvertretungen:
sie binden nicht nur die überstimmten Volksvertreter, sondern
die Nation, ja die Staatsbewohner: Vereinsgesetze sind Gesetze
nur für die Vereinsmitglieder, Staatsgesetze solche für alle, nicht
bloß für die Abgeordneten, Repräsentanten.
Dieser Satz bedeutet je nach der Verfassung freilich sehr
Verschiedenes. In einem monarchischen Staate mit einem Zwei
kammersystem ist, wie schon früher bemerkt, diese Bindung der
Außenstehenden durch die Beschlüsse des einen Hauses geringer;
denn es bedarf sowohl der Zustimmung des zweiten Hauses als
auch der Sanktion des Herrschers. Das vermindert die Kraft
solcher Beschlüsse erheblich. Auch wenn die zweite (sogenannte
erste) Kammer, wie z. B. das österreichische Herrenhaus, in po
litischen Fragen schwach und die Sanktion des Herrschers der
Regel nach eine Förmlichkeit ist, bewirken diese zwei Faktoren
doch eine Hemmung gegenüber radikalen Strömungen, mögen sie
agrarischer, sozialistischer, nationaler oder sonst irgendwelcher
Richtung sein.
Ganz anders steht es beim Einkammersystem in einer Repu
blik ohne Präsidenten, wie wir sie jetzt in Deutschösterreich
haben. Da ist der Beschluß der Nationalversammlung, sobald er
gehörig kundgemacht ist, Gesetz, bindet alle Rechtsunterworfenen-
Und was Gesetz werden soll, das bestimmt die Nationalversam»
lung und nur sie bestimmt es. Ihre Bestimmung aber trifft sie
durch Mehrheitsbeschlüsse der Anwesenden, somit durch eine An
zahl von Personen, die unter Umständen nur eine formelle, keine
materielle Mehrheit darstellen. Bei dem niederen Quorum können
also 26 Abgeordnete unter Umständen ihren Willen der ganzen
Staatsbevölkerung als Gesetz auferlegen.
Es ist klar, daß alle Bedenken gegen das Prinzip der L
lässigkeit bloß formeller Mehrheitsbeschlüsse bei einer solchen
Volksvertretung im verstärkten Maße wiederkehren. Denn die e