Full text: 22. Jahrbuch der Hochschule für Welthandel (22)

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ohne einen Einfluß auf die Beschlüsse der Generalversammlungen, 
ihnen unterworfen sind; hier zeigt sich also eine Bindung an die 
unbeeinflußbaren Beschlüsse anderer. Immerhin handelt es sich 
da um Nebenerscheinungen. In der Hauptsache kann man doch 
sagen, daß auf dem Gebiete des privatrechtlichen Gesellschafts 
rechtes niemand einem Beschluß unterworfen ist, der nicht bei 
seinem Entstehen mit Rat und Stimme mitwirken konnte, sei es 
für, sei es gegen ihn. 
Ganz anders ist es bei den Beschlüssen der Volksvertretungen: 
sie binden nicht nur die überstimmten Volksvertreter, sondern 
die Nation, ja die Staatsbewohner: Vereinsgesetze sind Gesetze 
nur für die Vereinsmitglieder, Staatsgesetze solche für alle, nicht 
bloß für die Abgeordneten, Repräsentanten. 
Dieser Satz bedeutet je nach der Verfassung freilich sehr 
Verschiedenes. In einem monarchischen Staate mit einem Zwei 
kammersystem ist, wie schon früher bemerkt, diese Bindung der 
Außenstehenden durch die Beschlüsse des einen Hauses geringer; 
denn es bedarf sowohl der Zustimmung des zweiten Hauses als 
auch der Sanktion des Herrschers. Das vermindert die Kraft 
solcher Beschlüsse erheblich. Auch wenn die zweite (sogenannte 
erste) Kammer, wie z. B. das österreichische Herrenhaus, in po 
litischen Fragen schwach und die Sanktion des Herrschers der 
Regel nach eine Förmlichkeit ist, bewirken diese zwei Faktoren 
doch eine Hemmung gegenüber radikalen Strömungen, mögen sie 
agrarischer, sozialistischer, nationaler oder sonst irgendwelcher 
Richtung sein. 
Ganz anders steht es beim Einkammersystem in einer Repu 
blik ohne Präsidenten, wie wir sie jetzt in Deutschösterreich 
haben. Da ist der Beschluß der Nationalversammlung, sobald er 
gehörig kundgemacht ist, Gesetz, bindet alle Rechtsunterworfenen- 
Und was Gesetz werden soll, das bestimmt die Nationalversam» 
lung und nur sie bestimmt es. Ihre Bestimmung aber trifft sie 
durch Mehrheitsbeschlüsse der Anwesenden, somit durch eine An 
zahl von Personen, die unter Umständen nur eine formelle, keine 
materielle Mehrheit darstellen. Bei dem niederen Quorum können 
also 26 Abgeordnete unter Umständen ihren Willen der ganzen 
Staatsbevölkerung als Gesetz auferlegen. 
Es ist klar, daß alle Bedenken gegen das Prinzip der L 
lässigkeit bloß formeller Mehrheitsbeschlüsse bei einer solchen 
Volksvertretung im verstärkten Maße wiederkehren. Denn die e
	        
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