79
Listen zu Ende. Die Parteileitung wählt nunmehr die Kandidaten
nach Belieben aus; den Parteileitungen, nicht den Wählern müssen
darum die Bewerber genehm sein; denn sonst gelangen sie nicht
auf die Liste und dürfen dann nicht gewählt werden. Freilich kann
jeder Kandidat eine Partei neu bilden und sich von dieser kandi
dieren lassen; aber die Wahlen zur konstituierenden National
versammlung haben in Wien gezeigt, daß dies ein praktisch aus
sichtsloser Versuch ist. Es bleibt also dabei, daß die bestehenden
Parteileitungen die Kandidaten bestimmen. Die Wähler sind dann
an deren Listen gebunden, dürfen niemanden hinzusetzen, keinen
Namen ersetzen, keinen streichen; sonst ist der Stimmzettel un
gültig. Auch wenn etwa den Wählern einer bestimmten Partei
gerade einer der vorgeschlagenen Kandidaten ganz und gar nicht
paßt, sind die Wähler gebunden; sie dürfen die Partei wählen“
nicht die Kandidaten; paßt ihnen ein Kandidat nicht, so haben sie
nur die Wahl, der Partei oder ihrem Gewissen untreu zu werden.
Man sage nicht, daß es sich da um bloß ausgedachte Gefahren
handle; bei den letzten Wahlen in Wien standen in einem Bezirke
Tausende von Wählern vor einem solchen Konflikte.
Das Ideal der gebundenen Listenwahl ist: der Stimmzettel
trägt gar keinen Namen von Kandidaten, sondern nur mehr die
Parteibezeichnung. Dieses Ideal ist bei den letzten Wahlen zum
niederösterreichischen Landtag erreicht worden. Wir haben also
unpersönliche Wahlen.
Die Bedenken gegen dieses System werden nun durch die
Unverantwortlichkeit der Parteileitungen verstärkt. Partei
leitungen sind ja keine Behörden. Jede Gruppe von Personen kann
sich selbst, kraft eigenen Willens, als eine Parteileitung zusammen
setzen und macht dann Programme und Kandidaten. Das gab
es freilich auch früher; aber unter der Herrschaft der ge
bundenen Listenwahl kann ein solches Parteiklüngelwesen ungleich
besser als früher gedeihen. Nun gibt es allerdings gut organisierte
Parteien und diese haben dann auch gut zusammengesetzte und
verantwortliche Parteileitungen. Aber derartiges ist nur wenigen
großen Parteien möglich; denn andere bringen den erforderlichen
Apparat nicht auf. Und darin, daß nur einige große Parteien gut
organisierte Leitungen aufbringen, ist kein Vorteil für den Betrieb
der Staatsgeschäfte zu erblicken. Es macht zwar das Wählen und
dann auch das Regieren bequem. Aber die Wähler und der größte
Teil der Gewählten werden der selbständigen politischen Tätigkeit