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Zunächst muß mit der nun schon recht alten Erkenntnis vom
Wesen der Amtsgewalt Ernst gemacht werden. Es gibt bei der
Verwaltung der höchsten Staatsgewalten keine Amtsrechte, son
dern nur Amtspflichten. Wer eine dieser Gewalten ausübt und
damit Geschäfte der Regierung besorgt/ der übt damit kein Recht,
sondern eine Pflicht aus.
Josef II. und Friedrich II. haben sich in diesem Sinn als
die Diener des Staates bezeichnet; in ihrem Sinn ist es in demo
kratischen Staaten nicht nur jeder Beamte, sondern jedeimann,
wenn und weil er Geschäfte der Regierung besorgt. Also nament
lich alle Wähler und Gewählten. Es darf denn in diesem Sinne
weder ein aktives Wahlrecht noch ein Recht der Abgeordneten
zur Teilnahme an den Beratungen und Abstimmungen der Volks
vertretung geben; es gibt nur eine Pflicht zu diesen Funktionen.
Daraus folgt: die Wahlpflicht für die Wähler, die Präsenzpflicht
und Abstimmungspflicht für die Abgeordneten muß eingeführt
und die Pflichterfüllung erzwungen werden. Hat Solon vor mehr
als 2000 Jahren schon das Gesetz erlassen, im Bürgerkriege müsse
jedermann Partei nehmen, so muß im späteren demokratischen
Staate dieser Satz auf die Friedenswirtschaft übertragen werden,
dahin, daß niemand sich der Ausübung der ihm verfassungsgemäß
obliegenden öffentlichen Pflichten nach seinem Ermessen oder
nach seiner Bequemlichkeit durch Abstinenz oder durch passive
Resistenz entziehen dürfe. Im Zusammenhänge mit der Einführung
solcher erzwingbarer Pflichten kann dann auch und muß auch
das Quorum bei der Ausübung des aktiven Wahlrechtes eingeführt
und für die Abstimmung in der Nationalversammlung beträcht
lich erhöht werden.
Durch die Einführung der Wahlpflicht verlieren allerdings
die gut organisierten Parteien einen Teil des Vorsprunges, den sie
bisher vor den nichtorganisierten Wählern hatten. Aber wo Holz
geschnitten wird, fliegen Späne; politische Entwicklungen fordern
Opfer. Diesmal ist übrigens das Opfer nicht einmal schwer zu
tragen, denn es wird durch die politische Heranbildung großei
Wählerkreise für die Wahlpflicht reichlich aufgewogen. Durch die
Einführung dieser Pflicht ist wenigstens dafür gesorgt, daß die
Wahlen materielle Mehrheitswahlen sind.
Ähnliche Ergebnisse werden durch die Einführung der An-
wesenheits- und Abstimmungspflicht der Abgeordneten erreicht
werden. Durch diese Anordnung wird zunächst verhindert werden
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