Full text: 22. Jahrbuch der Hochschule für Welthandel (22)

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Zunächst muß mit der nun schon recht alten Erkenntnis vom 
Wesen der Amtsgewalt Ernst gemacht werden. Es gibt bei der 
Verwaltung der höchsten Staatsgewalten keine Amtsrechte, son 
dern nur Amtspflichten. Wer eine dieser Gewalten ausübt und 
damit Geschäfte der Regierung besorgt/ der übt damit kein Recht, 
sondern eine Pflicht aus. 
Josef II. und Friedrich II. haben sich in diesem Sinn als 
die Diener des Staates bezeichnet; in ihrem Sinn ist es in demo 
kratischen Staaten nicht nur jeder Beamte, sondern jedeimann, 
wenn und weil er Geschäfte der Regierung besorgt. Also nament 
lich alle Wähler und Gewählten. Es darf denn in diesem Sinne 
weder ein aktives Wahlrecht noch ein Recht der Abgeordneten 
zur Teilnahme an den Beratungen und Abstimmungen der Volks 
vertretung geben; es gibt nur eine Pflicht zu diesen Funktionen. 
Daraus folgt: die Wahlpflicht für die Wähler, die Präsenzpflicht 
und Abstimmungspflicht für die Abgeordneten muß eingeführt 
und die Pflichterfüllung erzwungen werden. Hat Solon vor mehr 
als 2000 Jahren schon das Gesetz erlassen, im Bürgerkriege müsse 
jedermann Partei nehmen, so muß im späteren demokratischen 
Staate dieser Satz auf die Friedenswirtschaft übertragen werden, 
dahin, daß niemand sich der Ausübung der ihm verfassungsgemäß 
obliegenden öffentlichen Pflichten nach seinem Ermessen oder 
nach seiner Bequemlichkeit durch Abstinenz oder durch passive 
Resistenz entziehen dürfe. Im Zusammenhänge mit der Einführung 
solcher erzwingbarer Pflichten kann dann auch und muß auch 
das Quorum bei der Ausübung des aktiven Wahlrechtes eingeführt 
und für die Abstimmung in der Nationalversammlung beträcht 
lich erhöht werden. 
Durch die Einführung der Wahlpflicht verlieren allerdings 
die gut organisierten Parteien einen Teil des Vorsprunges, den sie 
bisher vor den nichtorganisierten Wählern hatten. Aber wo Holz 
geschnitten wird, fliegen Späne; politische Entwicklungen fordern 
Opfer. Diesmal ist übrigens das Opfer nicht einmal schwer zu 
tragen, denn es wird durch die politische Heranbildung großei 
Wählerkreise für die Wahlpflicht reichlich aufgewogen. Durch die 
Einführung dieser Pflicht ist wenigstens dafür gesorgt, daß die 
Wahlen materielle Mehrheitswahlen sind. 
Ähnliche Ergebnisse werden durch die Einführung der An- 
wesenheits- und Abstimmungspflicht der Abgeordneten erreicht 
werden. Durch diese Anordnung wird zunächst verhindert werden 
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