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Derzeit liegt die Sache so, daß die Wähler sozusagen terri
torial organisiert sind und nur territorial. Die Seßhaftigkeit in
einem bestimmten Wahlbezirk entscheidet und innerhalb des Wahl
bezirkes wählen alle Wähler ohne Unterschied von Alter, Geschlecht
und Stand in einem Wahlkörper zusammen. Dieses System ist
relativ einfach, also bequem zu handhaben. Aber die Erfahrung
lehrt, daß es unzureichend ist, will man zu einer wirklichen Volks
repräsentation kommen. Denn das jetzige Wahlsystem hat weite,
wichtige, wertvolle Bevölkerungsschichten von der „Nationalver
sammlung ganz oder fast ganz ausgeschlossen; Gelehrte, Juristen,
Ärzte, Künstler, Fabrikanten, Großkaufleute, aber auch Bauern
knechte fehlen zum Teile völlig, zum Teile fast völlig; die National
versammlung könnte, wie ein Sozialdemokrat mit Recht gesagt
hat, kaum anders zusammengesetzt sein, hätten-nur die Arbeiter- und
Bauernräte sie beschickt. Nun dürfte diese Zusammensetzung im
wesentlichen den Mehrheitsverhältnissen in der Bevölkerung ent
sprechen. Aber das ist ein Argument, das nur für jene beweis
kräftig ist, welche nicht die Vertretung des Volkes, sondern der
Volksmehrheit und damit die Parteiherrschaft wollen, also für
Parteiimperialisten. Dagegen ist das Argument keine Stütze für
ein System, welches, wie die deutschösterreichische Verfassung es
will, die Volksvertretung durchführen soll; denn ein solches
System hat zu einer Repräsentation nicht der Mehrheit der Or
ganisierten oder der Mehrheit schlechtweg, sondern nach Möglich
keit zur Repräsentation aller zu führen.
Restlos ist dieses Problem freilich nicht zu lösen; nicht jeder
einzelne im Staate kann in der Volksvertretung repräsentiert
werden. Aber es gibt die Möglichkeit, eine bessere Repräsen
tationsmethode zu schaffen, als die bisherige. Hiezu müssen
freilich die Grundlagen der Wahlkreiseinteilung geändert
werden. Jetzt ist der Einteilungsgrund das Territorium; in Hin
kunft muß es die Interessengruppe sein (System der idealen
Interessenvertretung). .
Jede Interessengruppe, deren Interessen leidlich dauern
und hinreichend verbreitet sind, um die gesetzliche Stimmen-Mindest-
zahl für einen Abgeordneten zu stellen, hat einen Wahlkörper zu
bilden und in diesem dann so viele Abgeordnete (aus ihrer Mitte
oder außerhalb ihres Kreises) zu wählen, als ihrer Wahlstimmenanz ab
entspricht. Die Gruppierung der Interessen geschieht durch fr eI
willigen Beitritt; jedem Wähler steht der Beitritt zu einer Gruppe,