Full text: 22. Jahrbuch der Hochschule für Welthandel (22)

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alte System griff aus allen Interessengruppen nur einige wenige 
heraus, in die sich dann alle Wähler einteilen lassen mußten; 
überdies beteilte es die einzelnen Stände weder nach der Zahl 
der Mitglieder, noch nach der wirtschaftlichen oder geistigen Be 
deutung der Gruppe für den Staat, sondern nur nach ihrer poli 
tischen Bedeutung mit Mandaten: das System der historischen 
Interessenvertretung war ein Ausdruck der politischen 
Machtverhältnisse, das System der idealen Interessen 
vertretung soll die gleichmäßige Vertretung aller Inter 
essengruppen ohne Rücksicht auf ihre politische Machtbedeutung 
bewirken. 
Es ist dennoch niemals praktisch ausgeführt worden. Das ist 
nicht eben merkwürdig. Herrschende politische Parteien können 
an diesem Systeme keinen Gefallen finden; es kann sich darum 
nur in Zeiten der nationalen Erhebung oder der nationalen Not 
durchsetzen, in denen die Parteien sich erfahrungsgemäß über 
den Parteistandpunkt erheben können. Überdies aber hat man 
gegen dieses System in früheren Jahrzehnten geltend gemacht 
eine Organisation aller Interessengruppen werde nicht durchführ 
bar sein. Dieses Argument ist jetzt freilich hinfällig. Denn in der 
Zeit der Arbeiterorganisationen, der Unternehmerv.erbände, des 
Vereines der Hausbesitzer, jenes der Bühnenangehörigen, der 
Richtervereinigung u. a. m. gibt es keine Schwierigkeiten dieser 
Art mehr. Wir haben es zwar im Kriege durchaus nicht ver 
standen, Handel und Verkehr zu organisieren; aber die Organi 
sation der Menschengruppen ist sehr vorgeschritten; es hat sich 
der Menschen sogar eine außerordentliche Organisationslust und 
Organisationsfähigkeit bemächtigt und diese Tendenz zeigt nicht 
zum wenigsten, daß in ihrer Verfolgung der Weg zur Ausbildung 
des Verfassungslebens liegt. 
Das System der idealen Interessenvertretung kann freilich 
seine großen Vorteile nur dann völlig entfalten, wenn jede Inter 
essengruppe durch Personen ihres Vertrauens repräsentiert wird; 
die politische Parteistellung der Gewählten mag verschieden sein, 
aber Vertrauensmänner müssen sie sein. Darum muß das 
ohnehin schwerlich haltbare System der gebundenen Listen 
durch jenes der freien Listen ersetzt werden. Daß die Wahl 
technik und das Wahlgeschäft hiedurch erschwert werden, ist 
richtig, aber unbeachtlich. Bedenklicher wird manchem erscheinen, 
daß infolge des neuen Systems das Nivellieren, das Schablonieren
	        
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