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erschwert wird, daß die Individualitäten, die Persönlichkeiten er
heblich mehr als bisher sich werden durchsetzen können, daß die
Parteischattierungen sich vermehren werden und daß vielleicht
die eine oder andere, nicht besonders festgefügte der bisherigen
Parteien geschädigt werden wird. Wäre das ein Nachteil, man
müßte ihn als die Folge der Wichtigkeit des Grundsatzes der \olks-
repräsentation in den Kauf nehmen. Mir erscheint es jedoch nicht
als ein Nachteil: Denn nicht in der Größe und fast militärischen
Disziplin einer Partei und nicht in der Einförmigkeit liegt für
den demokratischen Staat das Wichtige; in der Vielgestaltigkeit,
in der Fülle der Erscheinungsformen vielmehr zeigt sich der Reich
tum wie im Leben des Menschen so in jenem des Staates.
VII.
Ich glaube nicht, daß der gegenwärtige Zeitpunkt 1 ) für eine
Änderung der Verfassung in dem von mir angedeuteten Sinne
der richtige ist. Zu unruhig ist noch der Lauf des Staatsschiffes.
Weiß man doch derzeit oft genug nur, woher man ausfährt, nicht,
wohin man kommt.
Aber es kommt vielleicht rgcht bald der Augenblick, in dem
diese Unruhe überwunden ist und dann wird hoffentlich die
Nationalversammlung an die Revision der Verfassung schreiten.
Vielleicht finden dann meine Vorschläge Beachtung. Ich bin weit
davon entfernt, sie als Heilmittel anzusehen; sie heilen die Mängel
der Repräsentativverfassung nicht, sie lindern sie nur. Aber diese
Milderung würde doch erheblich sein, würde das Vertrauen des
Volkes in die Volksvertretung und damit deren Macht stärken.
Und das ist doch wohl der allgemeine Wunsch.
i) Mai 1919.